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Politik

Das einstige Vorzeigeland Äthiopien versinkt im Chaos

Kommentarbild Ludger Schadomsky
Ludger Schadomsky
15. Oktober 2016

Das Leugnen der Probleme durch die Regierung in Addis Abeba hilft nicht mehr. Indoktrination und Repression aber auch nicht, denn vor allem die riesige Jugend des Landes ist unzufrieden, meint Ludger Schadomsky.

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Äthiopien Protesten der Oromo in Bishoftu
Proteste der Oromo in Bishoftu wurden Anfang Oktober mit Gewalt niedergeschlagenBild: REUTERS/File Photo/T. Negeri

Die Fabel geht so: Nach dem wirtschaftlichen Erfolgszug der asiatischen "Tiger" setzen nun die afrikanischen "Löwen" zum Sprung an und befreien sich mittels Wirtschaftwachstum aus der Armuts- und Krisenfalle. Und welches Land hätte dieses Szenario besser versinnbildlichen können als Äthiopien? Immerhin ist der vom Aussterben bedrohte Schwarzmähnenlöwe nationales Symbol. Und wurde nicht der legendäre äthiopische Kaiser Haile Selassie als "Löwe von Juda" besungen?

Lange schien Äthiopien auf gutem Weg: Zweistellige Wachstumsraten, glitzernde Hotelfassaden in der Boom-City Addis Abeba, große Fortschritte in der ländlichen Entwicklung, vor allem im Gesundheitswesen. Wenngleich die regierende EPRDF die politischen Zügel mehr als stramm in der Hand hielt, alimentierten die Partner im Westen, darunter Deutschland, die Entwicklungsdiktatur am chronisch instabilen Horn von Afrika großzügig.

Auf dem Weg in den Bürgerkrieg

Doch wie heute die letzten Exemplare des äthiopischen Panthera leo eine karge Existenz im Zoo von Addis führen, so sieht auch die Geschichte vom äthiopischen Löwensprung derzeit kein Happy End vor. Das Land mit seinen 100 Millionen Einwohnern, Sitz der wichtigen Afrikanischen Union, eilt mit großen Schritten auf einen Bürgerkrieg zu.

Ein Vierteljahrhundert hat die mühsame Koexistenz der Volksgruppen nach dem Sturz des furchtbaren Mengistu-Regimes 1991 gehalten. Gekittet wurde der Vielvölkerstaat durch die sprichwörtliche Disziplin der "Preußen Afrikas", vor allem aber durch das taktische Geschick des charismatischen Ministerpräsidenten und einstigen Guerillaführers Meles Zenawi. Mit dessen Tod im August 2012 ist der mühsam ausgehandelte Machtproporz endgültig in Schieflage geraten.

Jahrhundertealte Konflikte zwischen den Volksgruppen brechen sich nun Bahn - befeuert von den brachialen Sicherheitskräften. Die Bevölkerungsmehrheit der Oromos, lange marginalisiert, fordert politische Mitsprache. Das die Regierung und Armee dominierende Minderheitenvolk der Tigreer fürchtet den Machtverlust. Das ehemalige Herrschervolk der Amhara gelüstet es nach neuer alter Größe. Dazu kommen die Ingredienzien des Arabischen Frühlings: Job- und Perspektivlosigkeit der Jugend, explodierende Lebenshaltungskosten, korrupte Beamten und Parteikader, Gängelei durch einen allgegenwärtigen Spitzelapparat. In einem Land, das in seiner jüngeren Geschichte keinerlei Erfahrung mit friedlichen Machtwechseln hat, reagieren Regierung und Sicherheitsapparat panisch.

Revolte mit Ansage

Die Zeichen standen an der sprichwörtlichen Wand: Schon 2005 mussten die Wahlen gefälscht werden um einen Sieg der Opposition in der Hauptstadt und in Teilen des Landes zu verhindern - 100 Menschen starben bei den anschließenden Protesten. 2009 wurde ein drakonisches Anti-Terrorgesetz verabschiedet, es dauerte bis zum Mai 2011, bis Unzufriedene aufriefen zur Kampagne "Beka" - amharisch für: "Es reicht!". Einen äthiopischen Frühling konnten die Sicherheitskräfte verhindern, aber die Saat war gesät: Es folgten Massenverhaftungen von Oromos, Muslimen, Journalisten und Oppositionellen. Vorläufiger Tiefpunkt: Die jüngste "Massenpanik " - Menschenrechtler sprechen von "Massaker" - mit mindestens 52, vermutlich aber mehreren Hundert Toten.

Unter dem Eindruck der wütenden Proteste haben Präsident und Premier zu Wochenbeginn eine Öffnung zugesagt: Das krude Wahlrecht soll geändert werden, um der Opposition mehr Mitsprache zu ermöglichen. Doch werden die Jungen so lange warten wollen? Längst hat sich der Protest in den Zonen, Woredas und Kebeles, den Verwaltungseben im Land, verselbständigt, haben selbst die mächtigen Regionalpräsidenten kaum noch Kontrolle. Parteikader, die seit Monaten zu Indoktrinierungsworkshops in die Universitäten und Amtsstuben des Landes geschickt werden, finden kein Gehör mehr.

Schadensbegrenzung

Will die äthiopische Regierung, die die gegenwärtige Krise noch immer leugnet und ausländische Mächte wie Eritrea und Ägypten am Werke sieht, ein noch größeres Blutvergießen verhindern, dann müssen jetzt umgehend Maßnahmen getroffen werden: Der Ausnahmezustand muss alsbald aufgehoben, die Internetblockade gelockert werden. Die angekündigten Reformen müssen zeitnah und transparent vollzogen werden - kein leichtes Unterfangen für eine Regierung, die vor allem für ihre Täuschungsmanöver bekannt ist. Vor allem aber muss ein glaubwürdiger Dialog zur nationalen Versöhnung begonnen werden, der unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher und religiöser Gruppen einen Fahrplan bis hin zur Wahl 2020 entwirft. Noch sieht es freilich nicht so aus, als habe die Regierung die Zeichen der Zeit erkannt: Die mit Spannung erwartete Rede des Ministerpräsidenten im Parlament entfiel am Donnerstag ganz unzeremoniell und ohne jede Begründung. Der äthiopische Löwe ist krank, sehr krank.

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