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Brasilianisches Durcheinander

Franca Tiebot Francis Kommentarbild App
Francis França
30. März 2016

Die politische Krise in Brasilien ist so skurril geworden, dass sie niemand mehr versteht. Deshalb wird sie meist auf die Frage reduziert: Wann stürzt Dilma Rousseff? Doch darum geht es gar nicht, meint Francis França.

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Brasilien Proteste gegen Lula da Silva und Dilma Rousseff
Die Demonstrationen gegen Dilma Rousseff gehen weiterBild: DW/T. Käufer

Seit Wochen sind die internationalen Schlagzeilen zu Brasilien einhellig und nahezu austauschbar: "Der Druck auf die Präsidentin wächst", heißt es überall und immer wieder. Alle Welt scheint nur noch darauf zu warten, dass Dilma Rousseff endlich zurücktritt. Damit wird die politische Krise aber viel zu stark vereinfacht. Was in Brasilien gerade passiert, passt nicht ins übliche Schema des politischen Machtkampfs der einen gegen die andere Gruppe.

Einerseits beteuern Rousseff und der ehemalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, sie hätten sich nichts zuschulden kommen lassen. Und zumindest gegen Rousseff liegen bisher keine überzeugenden Beweise vor. Gleichzeitig aber war es ein empörendes Manöver, Lula zum Minister zu ernennen, nur um ihn zu schützen.

Keine unabhängige Justiz

Auf der anderen Seite behaupten Opposition und Justiz zwar, sie kämpften unabhängig gegen die Korruption. Aber merkwürdigerweise laufen die Ermittlungen gegen einige schneller als gegen andere. Richter, die unparteiisch sein müssten, zeigen klar Sympathien für Proteste gegen die Regierung, wenn sie nicht gar selbst daran teilnehmen. Ganz zu schweigen von dem Amtsenthebungsausschuss, von dessen 65 Mitgliedern 37 wegen Korruption auf der Ermittlungsliste stehen, während es gegen die Präsidentin bisher keine Anklage gibt.

Damit wird mehr als deutlich, dass alles, was in dieser Krise gesagt und getan wird, Teil eines komplexen politischen Spiels ist.

Und nun hat also der wichtigste Koalitionspartner, die mal mehr, mal weniger rechtsliberale PMDB, die Regierung verlassen. Das ist schon allein deshalb eine Sensation, weil die Partei seit der Re-Demokratisierung 1985 durchgehend an allen Regierungen beteiligt war und stets wichtige Positionen besetzt hat. Mit der systemischen Korruption in Brasilien also mehr als vertraut ist.

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DW-Redakteurin Francis Franca Tiebot ist Brasilianerin

Für die internationale Öffentlichkeit, die sich nach Klarheit im brasilianischen Durcheinander sehnt, ein Anlass mehr, zu fragen: Stürzt Rousseff jetzt? Steht sie unmittelbar vor einer Amtsenthebung? Doch Brasilien wird die Welt abermals enttäuschen - von Klarheit weiterhin keine Spur.

Möglich ist es zwar, dass nun weitere kleinere Parteien Dilma Rousseff die Treue aufkündigen, nachdem nun selbst die machtgewohnte PMDB die Regierung verlassen hat. Damit könnten ausreichend Stimmen für eine Amtsenthebung der Präsidentin zusammenkommen. Andererseits ist allein die PMDB so zerstritten, dass überhaupt nicht sicher ist, ob sie geschlossen für eine Amtsenthebung stimmen würde. So ist es auch durchaus denkbar, dass die PMBD mit ihrem Rückzug aus der Regierung lediglich Platz für neue Koalitionspartner gemacht hat, die der Präsidentin stärkere Unterstützung bieten könnten.

Parteiübertritte am laufenden Band

Dazu muss man wissen, dass Parteiloyalität in Brasilien traditionell ein extrem relativer Begriff ist: Allein zwischen dem 18. Februar und 19. März haben 87 Parlamentsabgeordnete ihre Partei gewechselt. Dabei haben sie eine neue Regelung genutzt, die ausgerechnet der Anführer der Impeachment-Bewegung, Parlamentspräsident Eduardo Cunha angestoßen hatte.

Einer jedenfalls wird auf keinen Fall verlieren: Der wichtigste Mann der PMDB, Vize-Präsident Michel Temer, bleibt weiter Teil der Regierung Rousseff und wird im Falle eines Sturzes der Präsidentin automatisch ihr Nachfolger.

Brasilien erlebt also nicht mehr und nicht weniger als einen Krieg persönlicher Interessen, der als politischer Kampf ausgegeben wird, aber rein gar nichts mit den Interessen des Landes zu tun hat. Dieses unwürdige Spiel ruiniert das Vertrauen in die Politik in einem Land, das noch vor ein paar Jahren als wichtigste Wirtschaftsmacht Lateinamerikas und als weltweites Vorbild für den Kampf gegen soziale Ungleichheit galt.

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