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Politik

Brasilien - 100.000 Tote aus Fahrlässigkeit

Franca Tiebot Francis Kommentarbild App
Francis França
11. August 2020

Brasilien hätte keinen schlechteren Präsidenten wählen können, um eine Pandemie zu überstehen. Wie viele Corona-Tote könnten ohne die Verantwortungslosigkeit von Jair Bolsonaro noch leben, fragt Francis França.

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Brasilien, Coronavirus-Todesopfer: Friedhof Caju in Rio De Janeiro
Bild: picture-alliance/AP Photo/S. Izquierdo

Am vergangenen Wochenende hat Brasilien offiziell die Marke von 100.000 Corona-Toten überschritten. Die Zahl steht für unermessliche Trauer: 100.000 Familien, die noch nicht einmal die Totenwache abhalten konnten, weil ihre geliebten Mitmenschen nach einem strengen Hygieneprotokoll im Eilverfahren beerdigt werden mussten. In abertausenden Fällen konnten die Familien ihre todkranken Angehörigen in deren letzten Lebenstagen nicht mehr besuchen. Es ist eine unaussprechliche Tragödie.

Die Vorhersehbarkeit all dessen macht es noch dramatischer. Denn es wäre genug Zeit gewesen, Vorkehrungen zu treffen: Der erste COVID-19-Patient wurde in Brasilien registriert, als schon mehr als 80.000 Menschen in 40 anderen Ländern erkrankt waren. Aber die Regierung reagierte unkoordiniert und ineffizient. Schon bald verlor sie die Kontrolle über die Ausbreitung des Virus, weil derjenige, der die Maßnahmen hätte koordinieren müssen, sich nicht um die Pandemie scherte.

Bolsonaro interessiert sich nicht für Fakten

Brasilien hätte keinen schlechteren Präsidenten wählen können, um eine solche Krise zu überstehen. Anfang März sagte Jair Bolsonaro, die Zerstörungskraft des neuartigen Coronavirus werde vollkommen überschätzt und die Presse verbreite Hysterie. Als die Situation in Italien bereits kritisch war, sagt der Präsident, das liege nur daran, dass in Italien die Bevölkerung alt sei. In Brasilien würden weniger als 800 Menschen an COVID-19 sterben.

DW-Redakteurin Francis França
Francis França leitet die Brasilianische Redaktion

Es waren über den Daumen gepeilte Einschätzungen ohne jegliche Sachkenntnis - wie so vieles, was Bolsonaro von sich gab während der vergangenen sechs Monate. Oder sollte man sagen: im Laufe seiner politischen Karriere? Mit seinem Leugnen und seiner Geringschätzung wissenschaftlicher Fakten hat er zwei Gesundheitsminister verschlissen. Seit Mitte Mai ist das Amt unbesetzt.

Selbst als sich die Situation in Brasilien weiter verschärfte, räumte Bolsonaro keine Fehler ein. Statt endlich zu versuchen, die Bevölkerung vor der tödlichen Krankheit zu schützen, verdoppelte er die Wette: Er kritisierte die Abstandsregeln, die viele Gouverneure und Bürgermeister eingeführt hatten, bewarb die Einnahme von Medikamenten ohne nachgewiesene Wirksamkeit, hielt große Massenkundgebungen mit seinen Anhängern ab und verhinderte die Maskenpflicht in Schulen, im Einzelhandel und in religiösen Einrichtungen. Er verweigerte nicht nur den Kampf gegen die Pandemie, er behinderte ihn sogar.

Er redet sich heraus wie ein Feigling

Als das Land schon fast 40.000 Corona-Tote zählte, ging der Präsident dazu über, sich wie ein Feigling herauszureden und machte Gouverneure und Bürgermeister für die hohen Infektionszahlen verantwortlich.

Jetzt hat das Land mehr als 100.000 Pandemie-Tote zu beklagen. Und anstatt sich mit den betroffenen Familien solidarisch zu zeigen, hebt Jair Bolsonaro die Zahl der Genesenen hervor, als ob sich die Zahl der Toten dadurch in irgendeiner Weise relativieren ließe.

Wie viele COVID-19-Opfer in Brasilien wären ohne die Ignoranz und die Verantwortungslosigkeit des Präsidenten heute noch am Leben? Diese Frage wird einmal Historiker beschäftigen. Und sie sollte Jair Bolsonaro und alle, die ihn aktiv oder durch Untätigkeit ins Amt gehoben haben, verfolgen.