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Kommentar: Cameron als praktischer Buhmann

Christoph Hasselbach23. November 2012

Nach dem Scheitern des EU-Haushaltsgipfels geben fast alle dem britischen Regierungschef die Schuld. Doch damit machen es sich die Kritiker zu leicht, findet Christoph Hasselbach.

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Die frischen Hemden sind in den Koffern geblieben. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hatte die Staats- und Regierungschefs vor dem Sondergipfel gebeten, jeweils drei Hemden einzupacken - für drei mögliche Gipfeltage. Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann hatte bei seiner Ankunft in Brüssel sogar gesagt, er sei auf eine Marathonsitzung bis Montag vorbereitet, was fünf Hemden bedeutet hätte. Aber es kam anders. Das Wochenende bleibt frei. Dabei hatten die Staats- und Regierungschefs von Anfang an eine erstaunliche Gelassenheit in der Frage eines Scheiterns an den Tag gelegt: Alles nicht so dramatisch, wenn wir uns nicht heute einigen, dann eben nächstes Jahr.

Was allein den Zeitpunkt betrifft, ist das Scheitern tatsächlich nicht so schlimm. Die EU hat noch ein ganzes Jahr Zeit, denn der mehrjährige Finanzrahmen, wie der Haushalt im EU-Jargon heißt, gilt ja erst von 2014 an. Aber sich mit diesem Gedanken zurückzulehnen, würde bedeuten, die Situation zu verkennen. Denn es ist nicht unbedingt absehbar, dass sich die politischen Grundkonstellationen im neuen Jahr ändern werden. Mehr noch, die Fronten haben sich an den beiden Gipfeltagen deutlich verhärtet. Gleich mehrere Staaten haben schon vor Beginn der Verhandlungen mehr oder weniger direkt mit einem Veto gedroht und damit das Klima von vornherein angeheizt - wobei die Drohungen zum Teil in entgegengesetzte Richtungen gingen. Richtung Einsparung der eine Teil, Richtung Aufstockung der andere. Wie soll man da auf einen gemeinsamen Nenner kommen? Und auch Parlamentspräsident Martin Schulz hat frühzeitig Pflöcke eingeschlagen, indem er sagte, je weiter sich ein Kompromiss vom Vorschlag der Kommission entferne, desto unwahrscheinlicher werde die notwendige Zustimmung des Parlaments.

Von diesen wenig flexiblen Positionen kommt so schnell keiner mehr herunter. Doch es steht bereits heute fest, wer der Buhmann sein wird, wenn gar keine Einigung zustande kommt, nämlich der britische Premierminister David Cameron. Natürlich geht er mit seinen Sparforderungen weiter als alle anderen; auch hat er für böses Blut mit dem sturen Beharren auf dem hohen britischen Beitragsrabatt gesorgt. Aber man hat den Eindruck, dass andere Nettozahler sich gern hinter Cameron verstecken und insgeheim froh sind, dass wenigstens einer den Mut hat, sich unbeliebt zu machen. Cameron steht jetzt noch mehr als vorher als Außenseiter da. Die anderen brauchen ihn aber. Denn der Haushalt wird nun mal einstimmig verabschiedet. Kommen die übrigen Cameron beim nächsten Anlauf nicht wenigstens ein kleines Stück entgegen, müsste der Premier tatsächlich sein Veto einlegen - sonst würde er zuhause sein Gesicht verlieren.

Sollte sich an der Blockade bis Ende kommenden Jahres nichts ändern - und einiges spricht dafür -, dann wird die EU mit jährlichen Haushalten leben müssen. Die Folgen wären schwerwiegender, als viele denken. Statt einmal in sieben Jahren gäbe es jedes Jahr ein großes Feilschen. Vor allem ginge die Planbarkeit verloren. Welcher Investor will große Infrastrukturprojekte anpacken, die sich über viele Jahre hinziehen, wenn er nicht weiß, ob die EU-Kofinanzierung nächstes Jahr noch besteht? Außerdem würde man die britische öffentliche Meinung noch mehr Richtung EU-Totalausstieg beeinflussen. Gerade Deutschland teilt in der Europapolitik mehr Interessen mit den Briten, als das oft scheint. Die Briten stehen zum Beispiel für Sparsamkeit, Pragmatismus, Freihandel, Weltoffenheit. Das Gewicht der Südländer unter den Herren Hollande, Monti, Rajoy und anderen sorgt im Moment dafür, dass sich Europa eher am Gegenteil dieser Eigenschaften orientiert. Deshalb kann das britische Gegengewicht nicht schaden.