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Politik

Jetzt wird es unübersichtlich

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Jens Thurau
15. April 2020

Die drastischen Maßnahmen in der Corona-Krise fanden bislang großen Rückhalt in der Bevölkerung. Jetzt werden sie gelockert, was genau diesen Konsens gefährden könnte, meint Jens Thurau.

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Leerer Klassenraum in Halle
Die Frage, ab wann welche Schüler wieder zur Schule gehen sollen, beantworten die Bundesländer unterschiedlichBild: Getty Images/AFP/J. Schlueter

Es war ein kleines Wunder. Die deutsche Gesellschaft, noch vor wenigen Wochen polarisiert, zerstritten und wild erregt bei so gut wie jedem Thema, war sich einig: Die dramatischen Kontaktsperren, das Schließen von Läden, Kitas und Schulen ist richtig, um der Pandemie zu begegnen. Deutschland blieb einfach zu Hause.

Jetzt traut sich das Land aus der Isolation - hier und da jedenfalls. Die Regierung will nicht länger zusehen, wie Deutschland mehr oder weniger komplett auf der Stelle steht. Andererseits ist die Gefahr, die vom Corona-Virus ausgeht, weiterhin groß. Trotz des Abflachens der Infektionskurve. Deshalb bleiben die Kontaktsperren erst einmal bestehen, bis zum 3. Mai mindestens. Ein Spagat, der vielleicht zwangsläufig ist. Aber genau den Rückhalt, den die Regierenden bislang in der Corona-Krise hatten, auf eine harte Probe stellt.

Es wird kompliziert

Wir dürfen also weitere zweieinhalb Wochen eigentlich nur unsere Familien sehen, bleiben zu Hause, reduzieren das Leben. Gleichzeitig öffnen kleinere Läden, Buchläden etwa und Autoverkäufer. Jugendliche gehen wieder zur Schule, jedenfalls die, die jetzt ihre Abschlüsse machen. Am 4. Mai öffnen dann die Schulen insgesamt wieder. Aber wer genau dann wieder wann zum Unterricht kommen darf, steht noch nicht fest. Restaurants und Hotels bleiben grundsätzlich zu. Eine Maskenpflicht gibt es nicht, aber das Tragen von Masken wird dringend empfohlen. Das liegt wohl daran, dass genügend Masken für 80 Millionen Menschen gar nicht verfügbar wären.

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DW-Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Es zeigt sich: Es war vergleichsweise einfach, den Menschen die Beschneidung der Freiheitsrechte zuzumuten. Es gab und gibt dafür gute Gründe, eine überwältigende Mehrheit der Deutschen hat das verstanden. Und die Regierung schüttete Milliarden Euro unters Volk, um die gröbsten Härten abzumildern. Was überraschend unbürokratisch gelang. Jetzt aber wird es kompliziert.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Politik hat kaum eine Alternative, als diesen Spagat zu wagen. Natürlich steht der Schutz von Leib und Leben der Menschen im Mittelpunkt jeden Handelns. Aber die Politik hat eben stets alle Aspekte zu berücksichtigen, auch wirtschaftliche. Und schon gibt es Gewinner und Verlierer: Kleine Ladenbesitzer atmen auf, Senioren bleiben weiterhin isoliert. Einige Schüler können wieder Kontakt zu ihren Freunden aufnehmen, andere noch nicht.

Noch kein Ende in Sicht

Noch mehr als bisher muss die Regierung, müssen Ministerpräsidenten, Bürgermeister und Landräte immer wieder begründen, warum das jetzt genau so geschieht. Und nach Möglichkeit mit einer Stimme sprechen. Das war in den vergangenen Tagen nicht immer so. Ein Ministerpräsident war für eine großzügige Lockerung, der andere dagegen. In den zurückliegenden Wochen war der Föderalismus in Deutschland ein Segen. Auch die Virologen lobten ihn, denn so konnte das Land flexibel auf die Pandemie reagieren. Jetzt aber darf es nicht zum Wettlauf der Landesfürsten kommen, wer seinen Bürgern die schnellstmögliche Lockerung bescheren kann. Fürs Erste ist das durch die Beschlüsse vom Mittwoch abgewendet.

Gut möglich, dass Deutschland erst jetzt merkt, bei den ersten leichten Lockerungen, wie stark es schon durch die Pandemie verändert wurde. Nichts ist überstanden, kein Licht am Horizont in Sicht. Die Pandemie wird uns noch lange beschäftigen, und hoffentlich nicht gegeneinander aufbringen: Eltern gegen Kinder, Schüler gegen Lehrer, Buchladenbesitzer gegen Restaurant-Inhaber. Risikogruppen gegen solche, die sich nicht dazu zählen. Die Regierenden sind nicht zu beneiden.