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Politik

Das deutsche Klimavorbild taugt nicht

13. Dezember 2019

Alle stimmen zu, aber nicht alle machen mit: Die heuchlerische Einigung des EU-Gipfels zur Klimaneutralität bis 2050 zeigt, wie isoliert Deutschlands Position in Europa ist, meint Christoph Hasselbach.

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Brüssel EU Gipfel | Ursula von der Leyen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent machenBild: picture-alliance/AP/O. Matthys

Das muss man erst einmal hinbekommen: einen einstimmigen Beschluss, von dem ein Land aber ausgenommen ist. Genau das hat der Europäische Rat getan: Alle 27 Staats- und Regierungschefs (der britische Premier Boris Johnson war aus verständlichen Gründen abwesend) haben zugestimmt, dass die EU bis 2050 klimaneutral sein soll, also auch Polen. Polen erhält aber das Zugeständnis, dass es dort auch länger dauern darf. Wie lang, das bleibt offen.

Mit dieser Verrenkung kann Ursula von der Leyen nur mit großer Mühe ihr Gesicht wahren. Die neue Kommissionspräsidentin wollte gleich am Anfang ihrer Amtszeit zeigen, was in der EU und wohl auch, was in ihr selbst steckt: Parallel zur Weltklimakonferenz in Madrid und kurz vor dem EU-Gipfel hatte sie das große Ziel "Klimaneutralität Europas in nur 30 Jahren" verkündet. Sie verstieg sich gar zu einem Vergleich mit der ersten Mondlandung - als ob Klimaneutralität ein Ereignis mit genauem Datum wäre!

Einstimmigkeits-Heuchelei

Damit setzte sie die EU-Regierungen unter Zugzwang. Hätte sich auch nur ein Land dem Beschluss verweigert, wäre der Rat der Regierungschefs von der Leyen in den Rücken gefallen. Die EU insgesamt hätte sich bis auf die Knochen blamiert. Daher jetzt diese Einstimmigkeits-Heuchelei. 

Hasselbach Christoph Kommentarbild App
DW-Redakteur Christoph Hasselbach ist beim EU-Gipfel

Doch dazu waren Zugeständnisse nötig. Nicht nur kann Polen praktisch selbst bestimmen, bis wann es seine vielen Kohlekraftwerke stilllegt - bezieht es doch heute fast 80 Prozent seines Stroms aus Kohle! Tschechien, Ungarn und Polen haben auch erreicht, dass die Kernkraft in der Abschlusserklärung des Gipfels ausdrücklich als Energiequelle auf dem Weg zur Klimaneutralität erwähnt wird.

Dahinter steht natürlich auch der französische Präsident Emmanuel Macron, angeblich der engste Verbündete Deutschlands. Frankreich erzeugt bekanntlich den größten Teil seines Stroms in CO2-emissionsfreien Kernkraftwerken, plant mehrere neue Atommeiler und sieht überhaupt nicht ein, warum das nicht als Beitrag zum Klimaschutz honoriert werden sollte.

Erinnerungen an Merkels Flüchtlingspolitik

Deutschland dagegen steigt in relativ kurzer Zeit sowohl aus der Kohleverstromung als auch aus der Kernkraft aus. Kein anderes europäisches Land geht diesen Weg. Und dabei scheint es zu bleiben.

Wie wenig das deutsche Modell als Vorbild gesehen wird, hat sich bei diesem Gipfel noch einmal deutlich gezeigt. Schlimmer noch: Auch wenn Ursula von der Leyen für die ganze EU verantwortlich ist, wird sie von vielen Osteuropäern doch als die Deutsche gesehen, die im Namen der EU versucht, auch in der Klimapolitik eine deutsche Agenda durchzusetzen.

Das ging schon einmal schief: Auch in der Flüchtlingspolitik wollte Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Haltung zur Politik der gesamten EU machen - und scheiterte. Die Deutschen sollten jetzt zur Kenntnis nehmen, dass andere Staaten auch in der Klimapolitik abweichende Vorstellungen haben.

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik