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Der Beginn des Zwei-Klassen-Internets

Kommentarbild Muno Martin
Martin Muno
27. Oktober 2015

Das EU-Parlament hat die Aufweichung der Netzneutralität beschlossen. Damit wird sowohl die Demokratie, als auch der technologische Fortschritt in Europa geschädigt, meint Martin Muno.

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Eine vor dem Laptop sitzende Frau hält sich die Hand vor Augen
Bild: Colourbox

Die Tür zu einem Zwei-Klassen-Internet ist geöffnet. Nur einen kleinen Spalt zwar, aber sie ist offen. Wann aus dem Spalt eine gänzlich offene Tür geworden ist, ist nur eine Frage der Zeit. Denn mit dem heutigen Beschluss des EU-Parlaments ist die Netzneutralität Geschichte - und damit auch das Internet, so wie wir es kennen.

Diese Netzneutralität, also die Gleichbehandlung aller Daten im Netz, war ein grundlegender Bestandteil des Internets. Die Daten eines Bloggers werden genauso schnell durch das weltweite Web transportiert, wie die eines großen Konzerns, eines TV-Senders oder der Netz-Dickschiffe wie Facebook, Google und Co. Wir Nutzer können - zumindest in Staaten, in denen keine Zensur herrscht - bisher frei entscheiden, welche Inhalte wir lesen, sehen oder hören wollen.

Nährboden für Bürgerrechte und Innovation

Dieser freie Zugang zu den im Netz gesammelten Informationen stärkt nicht nur Bürger-Engagement und demokratische Teilhabe an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen. Er ist auch der Humus für technische Innovation. Aus diesem Grund protestierten nicht nur Netzaktivisten gegen den Beschluss, sondern auch zahlreiche Startups, Internetunternehmen und Investoren. Mehr als 30 von ihnen, darunter so bekannte Unternehmen wie Netflix, Tumblr oder Soundcloud warnten in einem offenen Brief vor dieser Entscheidung. Zuletzt reihte sich auch der Erfinder des WWW, Tim Berners-Lee, in den Chor ein.

In den USA ging man deswegen zu Recht einen anderen Weg: Denn die dortige Telekommunikationsaufsicht FCC schob im Februar dieses Jahres kostenpflichtigen Überholspuren im Internet einen Riegel vor. FCC-Chef Tom Wheeler begründete den Beschluss mit einem bemerkenswerten Zitat: "Das Internet ist das ultimative Werkzeug für die freie Meinungsäußerung."

DW-Redakteur Martin Muno
DW-Redakteur Martin MunoBild: DW

Ein billiger Trick

Dass die Mehrheit der Abgeordneten der Entschließung mit dem kryptischen Namen "Verordnung über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet" nun zustimmte, ist zumindest zum Teil einem Verfahrenstrick zu verdanken: Die Kommission koppelte die Regelungen zur Netzneutralität mit der weitgehenden Abschaffung der Roamingkosten innerhalb der EU: Kostensparenderes telefonieren und surfen über Ländergrenzen hinweg als Köder für die Aufgabe von Freiheitsrechten. Geht es noch billiger? Es gab zahlreiche Änderungsanträge. Die EU-Parlamentarier lehnten sie allesamt ab.

Auch EU-Digitalkommissar Günther Oettinger gab keine glückliche Figur ab: Erst bezeichnete er die Netzneutralität vor einem halben Jahr als ein "taliban-ähnliches Thema", dann begründete er die ausgesprochen schwammig formulierte Beschlussvorlage damit, dass eine bessere Lösung mit den EU-Mitgliedsstaaten nicht möglich gewesen sei.

Telekommunikationsfirmen profitieren

Vor allem die großen Telekommunikationsunternehmen haben seit Jahren darauf hingearbeitet, die Netzneutralität aufzuweichen. Als Netz-Provider profitieren sie, wenn Anbieter für die schnellere Übermittlung ihrer Inhalte zahlen. Untersuchungen belegen außerdem, dass sie schon seit Jahren die Netzneutralität verletzten, etwa indem sie Voice-over-IP-Telefonate drosseln. Jetzt können sie sich die Hände reiben.

Denn die Internet-Überholspur für sogenannte "Spezialdienste" wird jetzt kommen. Befürworter solcher Dienste wie Oettinger denken dabei eher an gesonderte Kanäle für Telemedizin, Notrufdienste oder selbstfahrende Autos. Dass HD-Videos gegen Extra-Bezahlung oder das "Zero-Rating" (dabei können Streaming-Dienste mit den Netz-Providern aushandeln, dass der Abruf ihrer Inhalte nicht auf das Datenvolumen der Nutzer angerechnet wird) ebenfalls dazu zählen werden, ist aber nur eine Frage der Zeit. Und dann ist das Internet nicht mehr das, was es bis jetzt war.

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Martin Muno Digitaler Immigrant mit Interesse an Machtfragen und Populismus