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Siemens: Alte Rezepte und Reflexe

Rolf Wenkel Kommentarbild App
Rolf Wenkel
7. Mai 2015

Jeder Konzernlenker ist bestrebt, seinen Laden zukunftssicher zu machen. Wer das zu spät angeht, versucht Rendite und Reputation oft durch Stellenabbau zu retten. Das ist phantasielos, meint Rolf Wenkel.

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Siemens Joe Kaeser Archivbild 23.01.2013
Bild: Christof Stache/AFP/Getty Images

Auf den ersten Blick könnte man meinen, Siemens-Aktionäre und -Mitarbeiter müssten in Jubel ausbrechen. 3,9 Milliarden Euro Gewinn in den ersten drei Monaten dieses Jahres (im Siemens-Geschäftsjahr ist dies das zweite Quartal) - da ist doch die Welt in Ordnung, oder? Zudem erklärt Siemens-Vorstandschef Joe Kaeser den Konzernumbau für abgeschlossen. Das klingt wie ein Versprechen: Jetzt kehrt Ruhe ein, jetzt sind wir krisensicher, jetzt gehen wir ans Geldverdienen.

Doch die Realität ist eine andere. Tatsächlich hat Siemens in diesem Quartal nur 700 Millionen Euro verdient, nach 1,1 Milliarden im Quartal davor. 3,2 Milliarden Euro flossen auf das Siemens-Konto, weil der Konzern seinen Geschäftsbereich Hörgeräte und seine Anteile an der Hausgerätesparte BSH abgegeben hat. Ob das Tafelsilber ist oder nicht, ist unerheblich - klar ist aber, dass diese Einnahmen nur einmal anfallen.

Porträt - Rolf Wenkel
Rolf Wenkel, DW-WirtschaftsredaktionBild: DW

Ansonsten aber stagniert der Umsatz, während eine wichtige Kennziffer aus dem Ruder läuft: Die Umsatzrendite schrumpft. Von 100 eingenommen Euro bleiben nur neun Euro übrig - angepeilt haben die Münchener mal eine Rendite von zehn bis elf Prozent.

Ruhe nach der Schrumpfkur?

Was tun, wenn Umsätze stagnieren und Renditen schrumpfen? Man bedient sich der alten Reflexe, solange man keine bessere Idee hat. So wie konservative Politiker nach jedem Verbrechen reflexartig nach schärferen Gesetzen rufen, ist für Manager in Unternehmen klar, dass es die Personalkosten sind, die die schöne Rendite ruinieren. So wundert es kaum noch, dass Joe Kaeser neben den Quartalszahlen so nebenbei verkündet, in der letzten Phase des Konzernumbaus müssten noch einmal 4500 Stellen gestrichen werden.

Reichlich Baustellen

Damit werden dann im Konzern, der weltweit 342.000 Menschen beschäftigt, rund 13.100 Arbeitsplätze vernichtet, davon über 5000 allein in Deutschland. Und das Schlimme ist: Kein Mensch kann garantieren, dass nach dieser Schrumpfkur Ruhe einkehrt und die übrigen Arbeitsplätze sicher sind. Dafür hat der Konzern viel zu viele Baustellen und Schwachstellen.

Die größte Schwachstelle ist zur Zeit das Geschäft mit Energie, Strom, Öl und Gas. Bei der Stromerzeugung kämpft Siemens gegen den Preisverfall und eine Nachfrageflaute bei Gasturbinen, der Kauf des amerikanischen Öl- und Gaszulieferers Dresser-Rand droht angesichts des niedrigen Ölpreises zur 7,6 Milliarden Dollar teuren Fehlinvestition zu werden, und in der Medizintechnik drängen junge und innovative Unternehmen auf den Markt, die dem Traditionsunternehmen in Zukunft das Leben schwer machen werden.

Folgenreiche Fehler

Hinzu kommt, dass das Management in vielen Bereichen nicht gerade glücklich agiert hat. In der brasilianischen Metropole São Paulo muss sich Siemens wegen Korruption und Absprachen mit der Konkurrenz im so genannten U-Bahn-Kartell verantworten, in Frankreich konnte das Münchener Spitzenmanagement nicht verhindern, dass der US-Erzrivale General Electric die Energiesparte des französischen Alstom-Konzerns übernimmt.

Viele Probleme sind hausgemacht, viele Entwicklungen verschlafen worden. So ist seit Jahren absehbar, dass die Energiewende die Märkte umkrempeln wird. Doch die Münchener Führungsriege hat diese Probleme zu lange ausgesessen und das Umsteuern zu alternativen Zukunftsfeldern zu zögerlich angegangen. Was dagegen zügig angegangen wird, ist an der Schraube für die Personalkosten zu drehen - das zeugt von Phantasielosigkeit. Joe Kaeser und seine Vorstandskollegen versuchen, die strukturellen Probleme und Versäumnisse ihrer Firmenpolitik auf die Arbeitnehmer abzuwälzen - und stellen sich damit ein Armutszeugnis aus.