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Politik

Der eugenische Bluttest

Deutschland Beate Hinrichs
Beate Hinrichs
14. April 2019

Sollen die Krankenkassen medizinisch ungefährliche Gentests an Ungeborenen zahlen? Nein, denn es geht nicht um eine Gesundheitsleistung, sondern um die Selektion von Menschen mit Behinderung, meint Beate Hinrichs.

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Deutschland Berlin | Natalie Dedreux, Demonstration gegen Bluttests für Schwangere auf Down-Syndrom
Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Kennen Sie die Bloggerin und Aktivistin Natalie Dedreux (oben im Bild), die zwei Mal vor laufender Kamera mit der Bundeskanzlerin gesprochen hat? Oder den Schauspieler Nico Randel, der in einer zauberhaften Fernsehkomödie mit "Tatort"-Star Axel Prahl zu sehen war? Oder die Darstellerin aus der US-amerikanischen TV-Serie "Glee", Lauren Potter, die Barack Obama in ein Beratungsgremium des Weißen Hauses berufen hat? Oder das australische Model Madeline Stuart, das bei der New York Fashion Week das Publikum zu Standing Ovations hinriss?

Sie alle sind Menschen mit Down-Syndrom. Und sie hatten Glück. Denn in neun von zehn Fällen werden sie vor der Geburt abgetrieben.

Darüber wird in Deutschland zur Zeit heftig diskutiert. Im Bundestag gab es dazu eine sogenannte Orientierungsdebatte - auf der Besuchertribüne verfolgt von Menschen mit Down-Syndrom.

Der Anlass: Ein Bluttest, der mit großer Genauigkeit prognostiziert, ob das Kind im Mutterleib eine genetische Besonderheit hat, eine Trisomie 13, 18 oder 21 - letztere verursacht das Down-Syndrom, das seit Jahrzehnten Dreh- und Angelpunkt jeder Debatte über pränatale Diagnostik ist. Seit 2012 ist der Bluttest auf dem Markt, bisher müssen Schwangere die Kosten von 130 bis 400 Euro selber zahlen. Zur Debatte steht jetzt, ob der Test eine reguläre Leistung der Krankenkasse für sogenannte Risikoschwangere wird.

Fortschritt? Augenwischerei!

Aus medizinischer Sicht, sagen seine Befürworter, hat der Bluttest Vorteile. Er ist eine nichtinvasive Methode - im Gegenteil zur bisher gängigen Fruchtwasseruntersuchung. Bei der wird eine Nadel durch die Bauchdecke der Schwangeren in die Fruchtblase eingeführt. Das birgt die Gefahr, das Ungeborene zu verletzen und eine Fehlgeburt zu provozieren.

Der Bluttest lässt sich auch deutlich eher durchführen, sodass die Schwangere sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden kann, bevor der Fötus so weit herangewachsen ist, dass er als Frühchen lebensfähig wäre.

Deutschland Beate Hinrichs
DW-Redakteurin Beate HinrichsBild: Ikhlas Abbis

Doch schon aus medizinischer Sicht ist das nur die halbe Wahrheit. Der Bluttest ist eine Prognose, keine Diagnose. Um im Falle eines positiven Befundes Gewissheit zu bekommen, sind Nachuntersuchungen erforderlich - und die sind meistens invasiv und brauchen Zeit.

Zudem ist nicht genau definiert, was eine Risikoschwangerschaft ist. Die Erfahrung zeigt: Der Begriff wird nach Ermessen ausgedehnt. So wurde die Fruchtwasseruntersuchung 1976 für wenige Mütter mit mutmaßlich hohem Risiko eingeführt. Knapp zwei Jahrzehnte später wurde die Untersuchung in nur vier Prozent der Fälle aufgrund von auffälligen Ultraschallbefunden durchgeführt. In allen anderen war der Grund die Angst vor einem behinderten Kind oder schlicht das Alter der Mutter - also eine statistisch gestiegene Wahrscheinlichkeit für eine Trisomie 21, aber kein individuelles Risiko.

Ein Mensch ist kein "Risiko"

Ist ein Kind mit Down-Syndrom überhaupt ein "Risiko"? Mit dieser Frage sind wir mitten in der ethischen Debatte.

Denn es geht hier um den Versuch, Menschen mit einer bestimmten Beeinträchtigung zu verhindern. Der Bluttest ist keine Therapie - eine Trisomie 21 ist keine Krankheit. Es gibt nichts, was sich vor der Geburt präventiv tun ließe. Es gibt nur die Option: Abtreiben oder nicht.

Die Statistik zeigt, wie die Wahl in neun von zehn Fällen ausfällt. Den entsprechenden Test als Kassenleistung einzuführen, widerspricht nicht nur der UN-Behindertenrechtskonvention, die Deutschland ratifiziert hat. Das ist - ob wir es wahrhaben wollen oder nicht - auch Selektion in lebenswertes und lebensunwertes Leben. Das ist Eugenik.

Das Problem ist nur: Wir praktizieren diese eugenische Selektion längst. Seit Jahrzehnten. Zum Beispiel mit der Fruchtwasseruntersuchung. Eugenisches Denken wohnt der gesamten Pränataldiagnostik inne, solange sie nicht präventiv ist, also etwa eine Krankheit des Fötus verhindern oder lindern kann.

Inklusion statt Aussonderung

Jede Frau sollte das Recht haben, eine Schwangerschaft innerhalb der ersten drei Monate zu beenden - also zu entscheiden, ob sie ein Kind haben will oder nicht. Diese Selbstbestimmung steht ihr zu. Aber niemand sollte eine qualitative Entscheidung treffen dürfen, welche Sorte Mensch erwünscht ist und welche nicht.

Bezeichnenderweise werden die Vorzeichen in der gesellschaftlichen Debatte oft umgekehrt: Der Zugang zu Informationen über eine Abtreibung wird Schwangeren generell erschwert (Stichwort: Werbeverbot). Wenn es dagegen um ein Kind mit einer möglichen Behinderung geht, genießt der Abbruch eine hohe Akzeptanz.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich verurteile keine Mutter, die sich unter den gegebenen gesellschaftlichen Umständen für einen pränatalen Test und möglicherweise für einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet. Denn auch wenn in den vergangenen Jahren wirklich viel für Inklusion getan worden ist - die Unterstützung der Eltern reicht bei weitem nicht. Die Belastungen für die Familien sind oft riesig. Und Menschen mit Behinderungen werden immer noch stigmatisiert.

Der ach-so-einfache und risikolose Bluttest gibt der Schwangeren darum auch keinesfalls mehr Selbstbestimmung. Im Gegenteil: Der Druck steigt, den Test zu machen und ein gegebenenfalls behindertes Kind nicht auszutragen. Immer wieder hören Eltern von Kindern mit Down-Syndrom: "Das wäre doch nicht nötig gewesen!"

Der Bluttest als Kassenleistung fördert diese Haltung. Dann gibt es noch weniger beeindruckende Menschen wie Natalie Dedreux oder Lauren Potter.