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Politik

Der Krieg, der niemals endete

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Dana Regev
5. Juni 2017

Der Sechstage-Krieg zwischen Israel und Ägypten sowie Syrien und Jordanien liegt 50 Jahre zurück. Und er dauerte nicht nur sechs Tage. Er dauert bis heute an, meint Dana Regev.

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Sechstagekrieg - Israel - Eroberung von Jerusalem
Bild: picture alliance/AP/KEYSTONE/Government Press Office

Israel hatte keine andere Wahl, als den Sechstage-Krieg zu beginnen: die Blockade der Meerenge von Tiran durch Ägypten, eine Aktion, die als Casus Belli gilt; ägyptische Truppen auf der Sinai-Halbinsel, was Israel mit der Einberufung von Reservisten beantwortete; die wachsenden Spannungen mit Syrien über die Kontrolle von Wasserquellen - das alles führte zu dem israelischen Angriff auf Ägypten am 5. Juni 1967.

Israels Premierminister Levi Eschkol war dagegen, als Erster anzugreifen. Die internationale Staatengemeinschaft, speziell die USA, hatten klargestellt, dass alle Konsequenzen zu tragen hätte, wer zuerst zuschlägt. Doch die Armeeführung protestierte. Die Generäle behaupteten, Israel könne den Krieg nur gewinnen, wenn es als Erster angreife.

"Wenn wir in eine Verteidigungsrolle gedrängt würden, verlören wir den einzigen Vorteil, den wir haben, nämlich als Erster anzugreifen und Fakten zu schaffen", sagte der Knesset-Abgeordnete Mosche Dajan, der bald darauf Verteidigungsminister wurde. "Nur wenn wir zuerst angreifen, haben wir die Chance, etwas zu erreichen", fügte er hinzu, wie ganz frisch veröffentlichte Protokolle von geheimen Regierungstreffen zeigen.

Wenn man den überwältigenden Sieg der Israelis und die bittere Niederlage der äygptischen Luftwaffe betrachtet, muss man ihm zugestehen, dass er richtig lag. Aber politisch war der Sechstage-Krieg eine schallende Niederlage.

Auf dem Papier hat der Krieg sechs Tage gedauert. Aber in Wirklichkeit dauert der siebte Tag inzwischen 50 Jahre an. Besetzung, Annexion und Kontrolle über einige der heiligsten Stätten der Welt haben den Konflikt nicht nur eskalieren lassen, sondern auch die internationale Sichtweise auf Israel gedreht: Aus David wurde Goliath.

Komplette Euphorie

In Israel war die Atmosphäre vor dem Krieg von Vernichtungsängsten geprägt. "Menschen, die zu dieser Zeit 50 oder 60 Jahre alt waren, hatten das Gefühl, vom Holocaust eingeholt zu werden", erzählte Yaron London, der damals als junger Radioreporter in Israel tätig war. "Sie hatten das Gefühl, dass das 'Projekt Israel' beendet sein würde - für immer."

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Dana Regev ist eine israelische Journalistin, die in Deutschland lebt

Die politische Führung galt als weich und nachgiebig, während das Militär auf einen sofortigen Angriff aus war. Hohe Offiziere  gingen sogar so weit, Eschkol als Lobbyisten zu bezeichnen, der sich nach der Anerkennung der Großmächte sehnte.

Nach extremem öffentlichem Druck, und nachdem die USA grünes Licht gegeben hatten, begann der Krieg. Schon am ersten Tag war klar, dass Israel die Oberhand hatte. Was als "notwendiges Übel" begonnen hatte, führte bald zur völligen Euphorie über die Eroberungen des Westjordanlandes, der Sinai-Halbinsel, Ost-Jerusalems und der Golan-Höhen.

"Wir werden ein Ghetto werden"

Eine Minderheit der Politiker warnte, dass die Araber nicht einfach verschwinden würden. Eschkol drückte seine Bedenken aus, ein militärischer Sieg werde nicht das Ende des Krieges sein. Bildungsminister Zalman Aran fragte: "Angenommen, wir erobern Jerusalem: Wann geben wir es zurück - und wem?" Israel werde, so seine Befürchtung, im Westjordanland ersticken.

"Wer würde so etwas in den Zeiten der Dekolonialisierung akzeptieren?", fragte Justizminister Ja'akov Schimschon Schapira, der sich dabei auf Dajans Vorschlag bezog, die Palästinenser sollten sich selbst regieren, aber unter militärischer Kontrolle Israels.

"Das zionistische Projekt ist am Ende. Wir werden ein Ghetto werden", warnte Shapira - vergeblich.

Krieg und Eroberungen beruhten eher auf dem Bauchgefühl der Beteiligten als auf einer diplomatischen Vision. Tatsächlich war die Regierung nur wenige Monate vor dem Krieg in einem offiziellen Dokument zu dem Schluss gekommen, die Annexion des Westjordanlandes sei eine schreckliche Idee. Und während Historiker nach wie vor darüber debattieren, ob Israel spontan die Gelegenheit zu Eroberungen nutzte, oder ob dahinter ein echter Plan stand, war eins doch klar: Israels Führung war naiv, wenn nicht größenwahnsinnig.

Eine 50 Jahre alte Kreuzung

Israel ist bei weitem nicht der einzige Akteur in dieser Auseinandersetzung, doch es ist heute nicht mehr von der Vernichtung bedroht. Es hat eine sehr starke und handlungsfähige Armee und ist geübt darin, mit Terroranschlägen umzugehen - zwar mit Opfern, aber ohne Zukunftsängste. Israel steht seit 50 Jahren an einer Weggabelung, eine "vorläufige Situation", die bis heute anhält - viel länger, als sie sollte.

Vor gerade einer Woche hat Israel ein Angebot von der Waqf-Behörde Jerusalem bekommen, die von muslimischer Seite die Aufsicht über die heiligen islamischen Stätten auf dem Tempelberg in Jerusalem ausübt. Dieses Angebot könnte helfen, die Spannungen über die heiligen Stätten zu lösen und zum Status Quo zurückzukehren. Doch Experten halten es für möglich, dass die Offerte zurückgewiesen wird, weil es zurzeit keinen erkennbaren Grund zu Kompromissbereitschaft gibt. Allerdings wird es ohne Kompromisse in der Jerusalem-Frage keine politische Lösung geben, das weiß auch Israel.

Von ein paar Fanatikern abgesehen, hatte vor 50 Jahren niemand im Traum daran gedacht, Ost-Jerusalem zu annektieren. Umso erstaunlicher ist, dass heute selbst die kleinsten Zugeständnisse in Sachen Jerusalem kategorisch zurück gewiesen werden.

Der Sechstage-Krieg endet erst dann, wenn Israel einen Deal mit den Palästinensern abschließt. Es hat mit Ägypten und Jordanien Frieden geschlossen, wenn auch nicht Freundschaft. Jetzt ist der Zeitpunkt für weitere mutige Schritte gekommen Israel sollte Friedensgespräche in Gang bringen. Wenn wieder ein Angebot wie das von der Waqf-Behörde Jerusalem kommt, sollte es mit aller Macht umgesetzt werden - nicht nur um der Millionen Palästinenser willen, sondern auch oder gerade Israels schwindender Demokratie willen.

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