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Der Krieg gegen den IS ist noch nicht gewonnen

Rainer Sollich28. Januar 2015

Die Rückeroberung der Stadt Kobane zeigt: Der "Islamische Staat" ist nicht unbesiegbar. Die Dschihadisten dürften jedoch weiterhin von ungelösten politischen Problemen profitieren, befürchtet Rainer Sollich.

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Kobane nach der Befreiung (Foto: Reuters)
Kobane nach der BefreiungBild: Reuters/O. Orsal

Im Internet kursiert seit Wochen eine Gegenüberstellung zweier real existierender Rechtssysteme in Nahost. Beide berufen sich auf die Scharia. Präzise wird dort aufgelistet, für welche "Vergehen" jeweils Peitschenhiebe oder Steinigungen drohen - und welche "Rechtsverstöße" als so schwer betrachtet werden, dass sie sogar mit Enthauptung bestraft werden.

Unterschiede gibt es kaum: Beide Rechtssysteme legen die Scharia extrem brutal aus, beide Rechtssysteme widersprechen fundamental dem Gedanken von der Universalität der Menschenrechte. Ein wesentlicher Unterschied besteht allerdings in der Frage, wo diese beinahe identischen Rechtssysteme gültig sind. Das eine gilt in den Gebieten, die vom "Islamischen Staat" (IS) beherrscht werden. Das andere gilt in Saudi-Arabien - ein Land, das als westlicher "Partner" gilt und sich aktiv am Kampf gegen die IS-Terroristen beteiligt. Fragt sich nur: Für welche Ziele kämpfen die Saudis hier eigentlich?

Schwierigkeiten und Widersprüche

Saudi-Arabien ist nur eines - sicherlich das drastischste - Beispiel für die zahlreichen Schwierigkeiten und Widersprüche, die mit dem Kampf westlicher und arabischer Länder gegen IS und Al-Kaida verbunden sind. Auch andere, direkt oder indirekt beteiligte Länder verfolgen im Wesentlichen Eigeninteressen. Das gilt für die Türkei ebenso wie für die Regierungen in Bagdad und Teheran, für Regime und unterschiedliche Oppositionsgruppen in Syrien - und auch für die Kurden. Ein nicht geringer Teil von ihnen betrachtet den Kampf gegen IS als Zwischenschritt zur lange ersehnten Eigenstaatlichkeit.

Rainer Sollich, Arabische Redaktion (Foto: DW)
Rainer Sollich (DW Arabisch)Bild: DW/P. Henriksen

Dies alles darf nicht übersehen werden. Und dennoch ist die Vertreibung des IS aus Kobane eine gute Nachricht - insbesondere für die Bewohner der Stadt. Die Rückeroberung von Kobane zeigt deutlich, dass der IS nicht unbesiegbar ist. Und sie lässt hoffen, dass das erfolgreiche Zusammenwirken von Bodentruppen lokaler Verbände und alliierten Luftschlägen anderswo in ähnlicher Form vielleicht wiederholt werden könnte. Dabei darf man sich freilich keinerlei Illusionen hingeben. Der IS mag durch die Rückeroberung Kobanes an Nimbus einbüßen oder seinen Zenit überschritten haben, doch die Gefahren sind noch lange nicht gebannt. Jede Niederlage des IS in den Kampfgebieten erhöht zugleich das Risiko, dass der Terror noch stärker auch in westliche oder weitere arabische Metropolen hineingetragen wird.

Kobane kann nur ein Anfang sein

Nicht nur in Kobane, auch in anderen Teilen Syriens und Iraks sehen manche Experten nun die Chance, den IS militärisch zu treffen und zurückzudrängen. Das mag zutreffen oder auch nicht. Entscheidend ist jedoch, dass endlich die politischen Probleme angegangen werden, die den IS stark gemacht haben: Im Irak müssen die Sunniten besser eingebunden werden. In Syrien muss eine politische Lösung den Krieg beenden, ohne das Unrechts-Regime von Baschar al-Assad zu belohnen. Die Kurden müssen ebenso einbezogen werden wie die Türkei, die jedoch einen Kurdenstaat verhindern will. Es wird nicht gänzlich ohne den Iran gehen. Und es geht erst recht nicht ohne Irans großen Rivalen Saudi-Arabien, das unter Führung seines neuen Königs gut beraten wäre, die ideologischen und theologischen Grundlagen seines Staates zumindest schrittweise zu erneuern, damit es in Zukunft wieder eine starke und stabilisierende Rolle in dieser Region spielen kann.

All dies dürfte leider viel länger dauern als die Befreiung von Kobane. Der Krieg gegen den IS ist noch lange nicht vorbei.