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VW-Veteran übergibt an Kostensenker

Dumalaon Janelle Kommentarbild App
Janelle Dumalaon
10. April 2018

Matthias Müller räumt seinen Fahrersitz bei Volkswagen, um dem Sanierer Herbert Diess Platz zu machen. Zeit für ein paar überfällige Weichenstellungen im VW-Konzern, meint DW-Reporterin Janelle Dumalaon.

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Deutschland VW Herbert Diess und Matthias Müller
Bild: picture alliance/dpa/U. Deck

Wolfsburg, Ende September 2015. Vor dem Tor Sandkamp, einem der Eingänge zum Volkswagen-Werk, versammeln sich die Medien der Welt. Wir warten auf die Ankündigung, wer Nachfolger von Martin Winterkorn wird, der seinen Posten als Vorstandschef nach dem Abgasskandal räumen musste. Es dauert viel länger als wir Reporter dachten, obwohl wir gehört hatten, dass es wahrscheinlich der damalige Porsche-Chef Matthias Müller (im Artikelbild rechts) werden würde. Aber warum dauerte es so lange, bis Volkswagen bestätigen wollte, was wir ohnehin bereits wussten?

Ein paar Meter von mir entfernt versuchte damals ein Reporterkollege, der live auf Sendung war, es besonders spannend für seine Zuschauer zu machen. Er sagte ihnen, dass wir alle nervös seien und darauf warteten, dass weißer Rauch aus dem Volkswagen-Hauptquartier aufsteigt, um die Wahl des neuen Vorstandschefs zu verkünden. Es war eine kluge Metapher - in Anspielung auf die Papstwahl. Ich könnte mich heute noch ärgern, dass sie mir nicht zuerst eingefallen ist.

Jetzt endlich ist die Gelegenheit da, mir die Papst-Metapher zu borgen. Und der Name, der aus dem weißen Rauch emporsteigt, ist anscheinend der von Herbert Diess (im Artikelbild links), dem Chef der Marke Volkswagen. "Anscheinend", weil Volkswagen bisher nur gesagt hat, dass es mögliche Veränderungen auf der Führungsebene prüft, die sich auf Müllers Posten auswirken könnten.

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DW-Reporterin Janelle Dumalaon

Traumjob oder Giftkelch?

Wenn Diess den Job übernimmt, hat er eine gewaltige Aufgabe vor sich. Im besten Fall ist es einfach nur schwierig, den größten Autohersteller der Welt zu führen, der sich seit mehr als zweieinhalb Jahren an den Folgen des Dieselskandals abarbeitet. Im schlimmsten Fall ist der neue Job für Herbert Diess ein vergifteter Kelch.

Matthias Müller hat im Großen und Ganzen gute Arbeit geleistet, von dem ein oder anderen PR-Fauxpas einmal abgesehen. Als er etwa amerikanischen Radiohörern erzählte, Volkswagen habe nicht so sehr gelogen, sondern die US-Gesetze eher "falsch interpretiert". Oder vor kurzem, als er öffentlich eine Deckelung von Managergehältern ablehnte. Und dass, nachdem viele Verbraucher durch den Dieselbetrug finanziell geschädigt worden waren.

Trotz allem: Müller hat Volkswagen zu neuen Rekordverkaufszahlen geführt und er hat Druck beim Strategiewechsel hin zur Elektromobilität gemacht. Warum also sollte man ihn als Kapitän auswechseln?

Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Ich glaube, die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Der gesamte deutsche Unternehmenssektor steckt in einer Umstrukturierung, die eine beträchtliche Dynamik angenommen hat. Immer mehr Industriegiganten spalten Teile ihres Geschäfts ab, um mit kleineren, agileren Einheiten beweglicher zu sein, wie etwa Siemens. Oft geht das mit einer Umstrukturierung des Managements einher, wie etwa bei der Deutschen Bank.

Bei Volkswagen soll es zwischen Müller und den Mehrheitsaktionären der Familien Piëch und Porsche zu Meinungsverschiedenheiten über mögliche Verkäufe von Konzernteilen und ein Ende der Dieselsubventionen gekommen sein. Und natürlich ist es erwähnenswert, dass dies alles immer noch vor dem Hintergrund von Dieselgate geschieht.

Juristische Schadensbegrenzung?

Gerade heute war von ermittelnden Staatsanwälten in Stuttgart zu hören, dass es unwahrscheinlich sei, die Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Abgasbetrug noch in diesem Jahr abzuschließen. Müller wird vorgeworfen, die Offenlegung des Diesel-Emissionsskandals gegenüber den Aktionären der Porsche SE verzögert zu haben - was als Manipulation der Finanzmärkte gewertet werden könnte. Müller bestreitet dies mit Nachdruck. Aber man kann sich leicht vorstellen, dass die Konzernspitze von Volkswagen nicht der beste Ort ist, falls Müller für die Staatsanwaltschaft interessanter wird.

Und es ist auch denkbar, dass Müller von vornherein nur als Krisenmanager das Ruder übernehmen sollte. Bevor der heute 64-Jährige das Amt des Vorstandsvorsitzenden übernahm, hatte er gesagt, er sei eigentlich zu alt dafür. Viele spekulierten damals, dass er aus Gründen der Kontinuität ausgewählt wurde und dass er einen Nachfolger aufbauen würde. In einem Interview mit dem "Spiegel" vor zwei Wochen sagte Müller, Volkswagen habe noch einen langen Weg vor sich, wenn es um die Einstellung jüngerer Mitarbeiter, Diversität und Frauen im Management gehe.

Offensichtlich fällt der 59-jährige Herbert Diess in keine dieser Kategorien. Was er im Gegensatz zu VW-Veteran Müller hat, ist ein klares Alibi für seinen Aufenthaltsort, als der Abgasbetrug begann. Er war damals bei BMW. Er kam erst im Juli 2015 zu Volkswagen, wenige Monate vor dem Bekanntwerden des Dieselskandals.

Herbert Diess Markenvorstand von Volkswagen bei der NAIAS
Erfolgreicher VW-Markenchef: Herbert Diess auf der Automesse in Detroit im Januar 2016Bild: picture-alliance/dpa/U. Deck

Der Sanierer kommt!

Neben der Distanz zu Dieselgate bringt Diess auch den Ruf eines äußerst effektiven Kostensenkers mit, der bereit ist, sich mit den mächtigen Gewerkschaften Deutschlands auseinanderzusetzen, und den Spitzenjob im Konzern immer im Blick hat. Sein Wechsel zu Volkwagen wurde damals von Spekulationen begleitet, er sei bei der Besetzung des Chefsessels bei BMW übergangen worden.

Der vergiftete Kelch geht jetzt also vom Volkswagen-Urgestein Müller, der den Job übernommen hatte, weil er sich dazu verpflichtet fühlte, zu einem nicht viel jüngeren, aber neueren Rekruten über, der ihn entschlossen mit beiden Händen festhalten wird.

Angesichts der exorbitanten Folgekosten des Dieselskandals mit seinen milliardenschweren Prozess- und Entschädigungskosten und den anstehenden Investitionen in die Zukunft von Volkswagen, macht es durchaus Sinn, einen Mann an die Konzernspitze zu holen, der weiß, wie er sparen kann.

Aber die Personalentscheidung wird Gewerkschaftsführer und Mitarbeiter bereits jetzt verunsichern, wenn sie darüber nachdenken, wo ihr künftiger Platz in einem der Elektromobilität verpflichteten VW-Konzern sein wird. Diess könnte sich schnell unbeliebt machen. Aber Volkswagen hat ja ohnehin schon einige ziemlich tiefe Kratzer an seinem Image hinnehmen müssen. Am Ende könnte der fehlende Druck, anderen gefallen zu müssen, den Weg frei machen für einige schmerzhafte, seit langem anstehende Veränderungen.

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Janelle Dumalaon DW US-Korrespondentin@janelledumalaon