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Kommentar: Deutschland ist Russlands Schlüsselland

3. Oktober 2010

Trotz Zweitem Weltkrieg, Deutschlands Teilung und dem Ende der DDR sind die Beziehungen zwischen Russland und dem wiedervereinigten Deutschland heutzutage sehr gut. Ein Paradox? Nein, meint Ingo Mannteufel.

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Die deutsch-russischen Beziehungen sind 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung außerordentlich gut. Das ist eine erfreuliche Feststellung, deren Bedeutung heutzutage vor allem in Deutschland zu wenig beachtet wird. Schließlich standen sich Deutsche und Russen im 20. Jahrhundert vielfach in bitterer Feindschaft gegenüber und es waren Deutsche, die im Namen einer mörderischen Rassen- und Lebensraumpolitik 1941 die Sowjetunion überfielen und dort fürchterliche Gräueltaten begingen. Der Sieg der Alliierten und der siegreiche Vormarsch sowjetischer Truppen bis nach Berlin führten in der Folge zu Flucht und Vertreibung Millionen Deutscher sowie zur Teilung Deutschlands.

DDR - eine sowjetische Trophäe

Die von Moskau aus geschaffene sozialistische DDR war in gewisser Hinsicht die große sowjetische Trophäe, die im Kalten Krieg mit aller Macht und Beton verteidigt wurde. Der Fall der Berliner Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands raubte der Sowjetunion faktisch einen wesentlichen Erfolg ihres Sieges im Zweiten Weltkrieg.

Mehr noch: Die friedliche Revolution gegen das totalitäre DDR-System verstärkte den Zerfallsprozess der kommunistischen Staatenwelt und der Sowjetunion selber, was selbst im nicht-kommunistischen Russland von heute noch mit gewissem Wehmut betrachtet wird. So nannte der starke Mann Russlands, Wladimir Putin, den Zusammenbruch der Sowjetunion die "größte geopolitische Katastrophe im 20. Jahrhundert". Aus dieser Perspektive wirkt es fast wie ein Paradox, dass sich die deutsch-russischen Beziehungen nach dem Ende der DDR und der Wiedervereinigung so gut entwickelt haben.

Doch ein Grund dafür dürfte darin liegen, dass die russisch-sowjetische Deutschlandpolitik immer mehr verfolgt hat als nur die DDR. In den Plänen der russischen Bolschewiken für die kommunistische Weltrevolution nahm Deutschland seit Lenin eine bedeutende Schlüsselrolle ein. Aufgrund des deutschen Industrie- und Technologiepotentials sowie der geopolitischen Lage im Zentrum Europas betrachteten die Bolschewiken Deutschland als den Hebel für die Errichtung einer kommunistischen Sowjetunion, ja einer kommunistischen Welt.

Das Geheimnis der deutsch-russischen Beziehungen

Das könnte auch ein Geheimnis für die guten deutsch-russischen Beziehungen 20 Jahre nach der Wiedervereinigung sein, wenn auch unter ganz anderen ideologischen Vorzeichen: Die russische Führung fühlt sich heute natürlich keiner kommunistischen Ideologie mehr verbunden, aber das staatstragende Motto lautet in Russland immer noch "Modernisierung des Landes". Angestrebt werden unter Putin und seinem Gefolgsmann Dmitiri Medwedew moderne wirtschaftlich-technologische Lebensbedingungen, vergleichbar mit denen in den westlichen Staaten.

Und in dieser Hinsicht erfüllt das wiedervereinigte Deutschland den Traum aller russischen Führer seit Lenin, indem es hilft, als Handels- und Technologiepartner Russland zu modernisieren. Und zugleich werden die Wünsche der deutschen Industrie nach Absatzmärkten und Rohstoffimporten befriedigt. Diese deutsch-russische Modernisierungspartnerschaft - frei von beiderseitigen Aggressionen und ideologischen Theorien - entspricht daher den historischen Interessen beider Länder und geht weit über die einzelnen Vorlieben einzelner Unternehmen oder Politiker hinaus. Daher ist es kein Widerspruch, dass zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung die deutsch-russischen Beziehungen so gut sind.

Autor: Ingo Mannteufel
Redaktion: Dеnnis Stutе