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Politik

Deutschland mit Hasenherz

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Udo Bauer
11. Oktober 2019

Die deutsche Reaktion auf den türkischen Vorstoß in den kurdisch besiedelten Norden Syriens ist beschämend ängstlich. Dabei wäre es doch so einfach, Präsident Erdogan seine Grenzen aufzuzeigen, meint Udo Bauer.

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Syrien Konflikt Grenze Türkei | Türkischer Panzer
Bild: picture-alliance/Zuma Press/Turkish Defense Ministry

Gleich nach Beginn der türkischen "Operation Friedensquelle", die in Wahrheit nichts anderes ist als eine völkerrechtswidrige Landnahme im Nachbarland Syrien, ließ sich der deutsche Außenminister Heiko Maas mit kritischen Worten zitieren. Er verurteile die türkische Offensive "auf das Schärfste", die Türkei solle die Angriffe einstellen. Es drohe eine weitere humanitäre Katastrophe und eine neue Fluchtbewegung. Die Katastrophe für die Menschen in der Region zeichnet sich schon jetzt ab; mehrere zehntausend vorwiegend kurdische Zivilisten fliehen bereits vor der vorrückenden türkischen Armee und deren Artillerie- und Luftangriffen. Und nichts deutet darauf hin, dass der türkische Präsident Erdogan sich stoppen ließe in seinem Plan, im Norden Syriens eine 30 Kilometer tiefe und 480 Kilometer breite Zone zu erobern, um dort syrische Flüchtlinge aus der Türkei anzusiedeln.

Es droht eine ethnisch motivierte Vertreibung

Recep Tayyip Erdogan macht sozusagen, was er will - aus rein innenpolitischen Motiven: Die Dauerpräsenz von rund 3,6 Millionen syrischen Kriegsflüchtlingen nervt die türkische Bevölkerung mittlerweile gewaltig, sie werden als Konkurrenten um Arbeitsplätze gesehen. Erdogan gibt dem Druck jetzt nach und kann gleichzeitig die Erzfeinde aller türkischen Nationalisten, die Kurden, aus den Gebieten nahe der Grenze zur Türkei vertreiben. Mit anderen Worten: In der sogenannten Sicherheitszone steht eine "ethnische Säuberung" bevor. Und die deutsche Bundesregierung verurteilt das "auf das Schärfste". Ich muss sagen: Dafür schäme ich mich!

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Udo Bauer ist Hauptstadtkorrespondent

Deutschland liefert die Kurden ans Messer

Wir machen uns mitschuldig am Verrat an den Kurden, die einmal auch unsere Verbündeten waren und eigentlich immer noch sind. Die tapferen Kämpferinnen und Kämpfer waren die einzigen, die über Jahre hinweg den sogenannten "Islamischen Staat" wirkungsvoll bekämpft und schließlich besiegt haben - übrigens mithilfe deutscher Waffen und Ausbildern der Bundeswehr. Mit der Milan-Panzerabwehrwaffe aus deutschen Beständen hatten die Kurden endlich ein Mittel zur Abwehr der gefürchteten sprengstoffbeladenen Selbstmord-Laster des IS an der Hand. Das war damals eine mutige deutsche Entscheidung, für die sogar gegen den Grundsatz verstoßen wurde, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. Doch jetzt lassen wir, genau wie die USA, die Kurden jämmerlich im Stich.

Im Moment führt die Türkei mit Hilfe deutscher Waffen einen Angriffskrieg. Im vergangenen Jahr hat Deutschland Kriegsgerät im Wert von 240 Millionen Euro an die Türkei geliefert. Das entspricht fast einem Drittel der deutschen Kriegswaffenexporte. Da könnte man jetzt problemlos ansetzen: Warum verhängt die Bundesregierung nicht einen sofortigen Exportstopp - und zwar sofort? Das wäre ein starkes Signal, das in Ankara sicherlich Nachdenken auslösen würde.

Angst vor neuer Flüchtlingswelle

Aber vor starken Signalen schreckt die Bundesregierung offenbar zurück - aus innenpolitischen Gründen. Sie will unter allen Umständen verhindern, dass die Türken ihre Grenzen für syrische Flüchtlinge öffnen, die dann - wie 2015 - über Griechenland nach Deutschland kommen würden. Ein Schreckgespenst vor allem für die Partei der Bundeskanzlerin, die in den vergangenen Jahren wegen Merkels Flüchtlingspolitik schon viel Rückhalt in der Bevölkerung verloren hat.

Ja, es wäre in der Tat ein Problem, wenn sich abermals Hundertausende Flüchtlinge innerhalb kürzester Zeit auf den Weg nach Mitteleuropa machen würden. Aber wer garantiert denn, dass Erdogan nicht einfach spontan die Tore öffnet? Weil ihm danach ist und es ihm gerade gut in den Kram passt. So jedenfalls lassen wir uns von der Türkei erpressen und geben hasenherzig klein bei. Es ist aber an der Zeit, dass Deutschland endlich Größe zeigt.