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Politik

Eine Herausforderung für alle Demokraten

22. September 2017

Die Bundesrepublik steht vor einer Bewährungsprobe: Mit der AfD ziehen erklärte Gegner des Rechtsstaates in den Bundestag ein, die nichts und niemand respektieren. Das wird das Land verändern, meint Christoph Strack.

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Deutschland AfD Spitzenkandidatin Alice Weidel
AfD-Spitzenkandidatin Alice WeidelBild: Reuters/F. Bensch

Die AfD, so viel ist klar in der Unklarheit der Vorwahl-Tage, wird dem nächsten Bundestag angehören. Das wird das politische Klima in Deutschland weiter verändern. Damit wird eine Gruppierung in den Bundestag einziehen, die grundlegende Säulen der deutschen Demokratie, sogenannte Verfassungssubjekte, wie das Bundesverfassungsgericht oder die Bundesregierung in neuer Form schmäht oder in Frage stellt. Für eine Demokratie, die bislang auf einen Grundkonsens setzen konnte, ist das eine Herausforderung.

Wohl keine Äußerung war dafür so verräterisch, wie jene Mail der heutigen AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel aus dem Jahr 2013. Da bezeichnete die sich gerne so bürgerlich gebende Neu-Politikerin die Bundesregierung als "Schweine" und nannte sie "Marionetten der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs", welche die Aufgabe hätten, "das deutsche Volk klein zu halten". Deutschland sei nicht souverän, die deutsche Justiz bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht korrumpiert.

Stets die gleichen Mechanismen

Das Bekanntwerden dieser Mail führte in den Reihen der AfD zum üblichen Mechanismus: Leugnen, rechtliche Schritte androhen, Medien beschimpfen. Dass Weidels Anwalt mittlerweile die Authentizität dieser wirren Hass-Mail einräumte - geschenkt! Die AfD hat ihre Gefolgschaft hinter sich. Weidel selbst, die sonst so eloquent ist, antwortet bei Pressekonferenzen einfach nicht mehr auf Fragen danach. Und der Partei-Vorsitzende Meuthen erklärte zunächst, es gehe um eine Mail, "die Frau Weidel gar nicht geschrieben hat". Nun schweigt auch er dazu.

Strack Christoph Kommentarbild App
Christoph Strack ist Korrespondent im HauptstadtstudioBild: DW

Man darf diese Worte Weidels ruhig mehrmals lesen. Da zeigen sich Ausfälle, die in Deutschland bislang Seltenheitswert hatten und in früheren Bundestags-Wahlkämpfen auch von rechtsradikalen oder vielleicht auch rechtsextremen Protagonisten nicht zu finden waren. Die "Republikaner" Anfang der 1990er-Jahre und die NPD bei den vergangenen Wahlen agierten zwar offen ausländerfeindlich - aber vergleichbaren Hass auf Regierung und Verfassungsgericht müsste man suchen.

Und die Medien? Ja, natürlich berichten sie. Getrieben und sich treibend lassend. Letztlich gehört auch dieser Kommentar zum Spiel der AfD. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender (zu denen auch die Deutsche Welle gehört) sehen sich unter dem Druck, als staatsnah abgestempelt zu sein, und laden deswegen auch die Kandidaten der AfD ein, obwohl diese sie doch abschaffen wollen. Dagegen ist nichts zu sagen, falls die Journalisten die richtigen Fragen stellen. Zeitungskorrespondenten sehen in dem als ach so langweilig verstandenen Wahlkampf plötzlich ein dynamisches Thema. Empörung, Populismus, bestellte Störer gegen die CDU-Vorsitzende Merkel kreuz und quer durch die Republik.

Kanzlerinnen-Festspiele und Wohlfühl-Vorlesungen

Ja, sonst blieben Wahlveranstaltungen der Union häufig auch Kanzlerinnen-Festspiele oder realpolitische Wohlfühl-Vorlesungen. Der Slogan "Für ein Deutschland in dem wir gut und gerne leben" ist alles und nichts und damit auch politisch. Er passt zur Arbeiterwohlfahrt wie zum Oktoberfest. Aber die Schweigespirale im Umgang mit der AfD zeigt sich auch darin, dass die kleinlaute Bestätigung "Ja, diese Mail kam wohl von Frau Weidel" bei den meisten Medien nur noch kleingedruckt auftauchte.

Sicher - viele der Themen, die die AfD behandelt, gehören in die politische Debatte. Und sicher - zum Wahlkampf gehören auch deutliche Worte und auch mal ein grober Keil. Der aufkommende Populismus in Deutschland gehört zu einem neuen Populismus, der sich global zeigt. Dem muss die Politik mehr entgegensetzen. Auf internationaler Ebene schafft das die Kanzlerin besser als die wahlkämpfende CDU-Vorsitzende in der deutschen Provinz. Aber jede und jeder Abgeordnete, der in den 19. Deutschen Bundestag einzieht, muss sich dafür wappnen. Nicht primär der Wahlkampf ist in neuer Weise hart - hart wird es sein, in der Parlamentsarbeit mit Leuten agieren zu müssen, welche die Autorität des Verfassungsgerichts nicht mehr anerkennen. Das ist voraufklärerisch.

Demokratie bedeutet Anstrengung

Die Parteien müssen sich dem stellen. Und die Abgeordneten müssen sich dem stellen. Demokratie bedeutet Anstrengung - das wissen Menschen in arabischen Ländern vielleicht besser als Deutsche. Wenn die derzeitige Stimmung dafür sorgt, dass die Wahlbeteiligung bei dieser Bundestagswahl erstmals in diesem Jahrtausend die 80 Prozent überschreitet (und hoffentlich deutlich überschreitet), dann ist das gut. Das wird den Einzug der AfD in den Bundestag nicht verhindern. Aber jede Stimme für Zwergparteien, die sich vermeintlich satirisch oder mit Spezialinteressen einbringen und ohne Chance auf parlamentarische Mitsprache bleiben, ist verschenkt.

Ich bin froh, in Deutschland zu leben. Das ist kein Land, in dem die Regierung aus "Schweinen" besteht - egal welche Partei sie gerade stellt. Und der internationale Vergleich zeigt mir, dass man in Deutschland stolz auf die Unabhängigkeit der Justiz und des Bundesverfassungsgerichts sein kann. Das Land von Frau Weidel - das Land, das die AfD will - ist nicht mein Land.

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