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Politik

Eine verpasste Chance

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Alexander Kudascheff
15. November 2016

Aus der Bundesversammlung ist jede Spannung gewichen, seit Frank-Walter Steinmeier gemeinsamer Kandidat von CDU, CSU und SPD ist. Der Demokratie hätte anderes besser angestanden, meint Alexander Kudascheff.

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Deutschland Giebel von Schloss Bellevue mit Flagge Bundespräsidenten in Berlin
Bild: picture alliance/H. J. Rech

Keine Frage: Frank Walter Steinmeier, noch Außenminister, wird ein guter Bundespräsident, wenn er denn - was ziemlich sicher ist - gewählt wird. Er wird "bella figura" machen, das Land nach außen mit Stil repräsentieren und nach innen besonnen und gelegentlich mahnend zusammenhalten.

Seine Reden werden nicht den Esprit seines Vorgängers Joachim Gauck haben, nicht den Witz und die rhetorische Klugheit von Johannes Rau, aber sie werden ernst und ernsthaft sein. Da die Macht des Präsidenten das Wort ist, wird Steinmeier, der alles andere als ein begabter Rhetor ist, sachlich und nüchtern  versuchen, die Probleme des Landes zu benennen. Glanzvolle, gar historische Reden wie von Richard von Weizsäcker, von Theodor Heuss oder auch von Roman Herzog sind von ihm nicht zu erwarten, aber ein solides Einschwören der Deutschen auf die Wirklichkeit der Moderne. Steinmeier steht für Maß und Mitte und politische Vernunft. Das ist nicht wenig in turbulenten Zeiten - zwischen Putin, Trump, Erdogan und der Krise der EU.

Die ausmanövrierte Kanzlerin

Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, hat ihn ausgewählt. Nein - sie hat sich ihn auswählen lassen. Von ihrem Koalitionspartner, von SPD-Chef Gabriel, der sie - in Zusammenarbeit mit Horst Seehofer, dem Vorsitzenden der Schwesterpartei CSU - ausmanövriert hat. Merkel, vernünftigerweise die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung im Blick, wollte einen Konsenskandidaten. Der eine mögliche, Bundestagspräsident Norbert Lammert, wollte schon früh nicht. Und Merkel ließ die Dinge treiben - bis Gabriel dann plötzlich Frank-Walter Steinmeier als Kandidaten der Sozialdemokraten ausrief. Eine Woche später war Merkel schachmatt - und erhob Steinmeier zum Kandidaten der Vernunft und der politischen Mitte.

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DW-Chefredakteur Alexander Kudascheff

Merkel, die angeblich mächtigste Frau der Welt (was nicht falsch ist), ist auf der heimischen Bühne angeschlagen. Erst durch die Flüchtlingskrise, die ihre Autorität wegfrisst, jetzt durch diese merkwürdige Kandidatenkür. Ist es wirklich denkbar, dass niemand in der CDU, der größten Partei Deutschlands,  zu finden war, der für das Amt geeignet ist? Undenkbar. Ist niemand zu finden, der bereit gewesen wäre, zu kandidieren - auch auf die Gefahr hin zu verlieren, was in einer Demokratie selbstverständlich ist? Undenkbar. Undenkbar? Oder ist das Sicherheitsgefühl inzwischen so stark, dass die besten Kandidaten nur noch antreten, wenn sie sicher sind, zu gewinnen?

Gerade nach der Trump-Wahl, gerade nach dem Eliten-Bashing überall, gerade nach dem Siegeszug von autoritären Populisten wie Erdogan, gerade nach dem Brexit-Referendum wäre es das richtige Zeichen gewesen, zwei hochkarätige Kandidaten gegeneinander antreten zu lassen. Nicht die Mächtigen kungeln einen Präsidenten aus, sondern die Abgeordneten aus Bund und Ländern entscheiden. Und da hätte Steinmeier eine Chance gehabt - ohne Frage. Aber ein Kandidat der Union eben auch.

Die Selbstverzwergung der CDU

Merkel hat sich taktisch verrannt. Sie hat das Naheliegende nicht gesehen: nämlich selbst jemanden zu bestimmen - wie Gabriel. Sie hat sich kleiner gemacht als nötig. Und vor allem hat sie allen die Chance auf einen demokratischen Zweikampf genommen. Mit ungewissem Ausgang: Steinmeier wäre dann vielleicht trotzdem Bundespräsident geworden. Und wahrscheinlich auch ein guter, respektierter Repräsentant dieses Landes. Aber es hätte eben auch jemand anderes gewinnen können. Vielleicht sogar eine Frau. Denn nach 67 Jahren wäre eine Präsidentin im Schloss Bellevue auch eine Antwort auf die schwierigen Zeiten gewesen. Und - nicht nur nebenbei - eine Kampfkandidatur hätte denen den Wind aus den Segeln genommen, die behaupten, "die da oben tun; was sie wollen". Die Bundespräsidentenwahl 2017 - eine verpasste Chance.

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