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Politik

Die gescheiterte Antisemitismus-Debatte

DW News Moderator Amien Essif (Teaser)
Amien Essif
8. März 2019

Eine Resolution des US-Repräsentantenhauses zum Antisemitismus wandelte sich in eine grundsätzliche Erklärung gegen Bigotterie. Der gesamte Prozess offenbart die Spaltung innerhalb der US-Demokraten, meint Amien Essif.

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USA Alexandria Ocasio-Cortez und Ilhan Omar
Die beiden Superstars des Repräsentantenhauses: Alexandria Ocasio-Cortez (li.) und Ilhan OmarBild: picture-alliance/newscom/K. Dietsch

Es war eine unangenehme Woche für die Führung der US-Demokraten. In dem Versuch, sich gegen Antisemitismus zu wehren, verpassten sie den optimalen Zeitpunkt, spalteten die Partei, boten den Republikanern Angriffsfläche und erstickten jede ernsthafte Diskussion über das Verhältnis zwischen den USA und Israel. Dabei ist genau das eine Debatte, welche die USA dringend führen müssten.

Alles begann mit der umstrittenen Erklärung einer neuen Abgeordneten des Repräsentantenhauses, Ilhan Omar - einer jungen Frau vom linken Flügel der Demokraten und eine der ersten beiden Musliminnen im Kongress. Bei einer Veranstaltung in einer kleinen Buchhandlung behauptete sie, dass die pro-israelische Lobby in den USA Politiker unter Druck setze einer ausländischen Nation "Treue" zu schwören.

Sofort wurde kritisiert, sie habe ein altbekanntes antisemitisches Bild benutzt: den Vorwurf, dass Juden stets eine "doppelte Loyalität" hätten - sowohl gegenüber ihrem Heimatland als auch gegenüber Israel.

Und es war nicht das erste Mal in den zwei Monaten seit ihrem Amtsantritt, dass die junge Kongressabgeordnete wegen angeblich antisemitischer Bemerkungen getadelt wurde. Im Februar sagte sie, dass der US-Kongress - der die rechte Regierung Israels mit überwältigender Mehrheit unterstützt - nur deswegen pro-israelisch gesinnt sei, weil er Geld von Lobbygruppen wie dem AIPAC, dem American Israel Public Affairs Committee, erhalte.

Zwar entschuldigte sie sich später für diese Aussage. Aber legte kurz darauf noch einmal nach: "Niemand sollte von mir erwarten, dass ich einem fremden Land Treue oder Unterstützung verspreche, nur um meinem Land im Kongress oder im Komitee zu dienen", twitterte sie am Sonntag.

Gegenfeuer der Linken

Omars Weigerung, sich hierfür zu entschuldigen, hat prominente Demokraten wie Jerry Nadler und die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, veranlasst, eine Resolution zu entwerfen, die ihre Aussage als antisemitisch verurteilte. Die in der Mitte der Partei zu verortenden führenden Köpfe waren bis hierhin wohl mit sich selbst zufrieden gewesen. Aber sie hatten völlig übersehen, dass die wachsende progressive Bewegung innerhalb der Demokraten Ilhan Omar und ihre engste Verbündete - die junge Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez - inzwischen wie Rockstars vergöttert.

DW Volontärsjahrgang 2016-2018 Amien Essif
DW-Redakteuir Amien EssifBild: DW/P. Böll

Die Hauptkritik aus diesem Lager war folgende: Warum kritisieren die Demokraten Ilhan Omar, die als Muslima selbst Opfer von Ressentiments  und Morddrohungen ist? Warum bringen sie nicht eine Resolution ein, mit der US-Präsident Donald Trump für eine Wahlkampfanzeige getadelt wird, die seine Rivalin Hillary Clinton mit einem jüdischen Davidstern und einem Stapel Dollarscheine zeigte? Wo ist die Stimme der Demokraten, wenn Trump immer wieder suggeriert, dass der liberale jüdische Milliardär George Soros im Alleingang Proteste orchestriert, um eine einwanderungsfreundliche Politik in Europa und den USA durchzusetzen? Und es außerdem klare Hinweise darauf gibt, dass Trumps Rhetorik längst zu Gewalt gegen Juden in den USA geführt hat.

Aber was ist passiert? Die Demokraten haben eine Resolution entworfen, in der sie die Formulierung der "doppelten Loyalität" zwar als beleidigend bezeichneten, nennen aber Omar nicht beim Namen. Am Dienstag kündigten sie dann an, den Text neu zu schreiben und fügten der Entschließung eine Klausel hinzu, die Islamfeindlichkeit und alle Formen von Hass verurteilt. Und am Mittwoch hieß es dann, die Abstimmung über die Entschließung werde auf unbestimmte Zeit verschoben.

Dann aber twitterte Trump: "Es ist beschämend, dass die Demokraten im Repräsentantenhaus nicht stärker gegen Antisemitismus Stellung beziehen." Als ob er, Trump, das je getan hätte.

Am Donnerstag verkündeten die Demokraten dann, dass sie doch über die Vorlage abstimmen wollten. Aber während der Debatte wurden der Resolution immer mehr von Ressentiments betroffeneGruppen hinzugefügt: Indianer, Hindus, Sikhs, die LGBTQ-Community und noch einige mehr.

Punkte sammeln und ernsthafte Gespräche vermeiden

Die Resolution wurde mit einstimmiger Unterstützung der Demokraten angenommen. Aber glaubt ernsthaft jemand, dass diese verblüffende Leistung den Juden in den USA oder irgendwo sonst mehr Sicherheit gibt? Wurde darüber gesprochen, warum einige der wirklich antisemitischen Politiker in Washington eindeutig Israel unterstützen? Oder warum die USA, die doch angeblich kompromisslos gegen Unterdrückung vorgehen, weiterhin gegen jede Resolution der Vereinten Nationen gegen die offensichtlichen Menschenrechtsverletzungen Israels im Gazastreifen ein Veto einlegen?

Nein. Diese Debatte wurde vermieden. Wir haben nur gelernt, dass die Führung der Demokratischen Partei nicht in der Lage ist, klar Stellung zu beziehen. Weil sie nicht weiß, wofür sie steht. Sie hat keine Definition von Antisemitismus, die weiße Rassisten von palästinensischen Rechtsanwälten unterscheidet. Und sie wollte  eines der jüngsten und fortschrittlichsten Mitglieder der Fraktion missbrauchen, um beim Wahlvolk zu punkten.

Aber sie haben sich verrechnet. Sie haben nicht mit einem rebellischen linken Flügel gerechnet, der über eine enorme Präsenz in den Sozialen Medien verfügt und in der Lage ist, Millionen von Fans innerhalb von Sekunden zu mobilisieren.

Und vielleicht müssen sie sich endlich fragen, warum sie eine rechtsgerichtete Regierung in Israel unterstützen, die von den meisten demokratischen Wählern gar nicht befürwortet wird.