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Politik

Die Mär vom Kampf gegen Fluchtursachen

5. August 2018

Geld kann Kleptokraten und Kriegstreiber nicht in Botschafter des Friedens verwandeln. Bei der Debatte über die Bekämpfung der Fluchtursachen braucht Berlin mehr Realitätssinn und Bescheidenheit, meint Astrid Prange.

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Bangladesch Rohingya Flüchtlinge mit Kindern
Bild: Reuters/D: Sagolj

Es war einmal eine Zeit der großen Not und Dürre. 60 Millionen Menschen machten sich auf, um vor Krieg, Hunger und Vertreibung in ihrer Heimat zu fliehen. Im fernen Deutschland, wo Milch und Honig flossen, machten sich deshalb besorgte Bürger und Politiker Gedanken, wie sie diesen Menschen helfen könnten. Und sie hatten eine Idee: Sie wollten die Ursachen der Flucht bekämpfen.

Es ist höchste Zeit, diese politische Märchenstunde zu beenden. Denn sie beruht nicht nur auf einer grandiosen Selbstüberschätzung. Sie offenbart auch eine grandiose Fehleinschätzung.

Zur Erinnerung: Bereits am 23. Mai 1993 wurde das Grundrecht auf Asyl eingeschränkt. Der Satz "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" in Artikel 16 des Grundgesetzes gilt seitdem nicht mehr für Bürger aus EU-Mitgliedsstaaten und Drittstaaten, in denen die Genfer Flüchtlingskonvention gilt. 

25 Jahre "Asylkompromiss"

Anlass für die Grundgesetzänderung war der Bosnienkrieg. Die Begründung für den sogenannten "Asylkompromiss" hat sich als Mantra deutscher Flüchtlingspolitik bis heute erhalten: Statt immer mehr Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen, müssten die Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpft werden.

25 Jahre nach dem "Asylkompromiss" ist die Zahl der Menschen, die weltweit vor Krieg, Verfolgung und Hunger fliehen, auf knapp 70 Millionen Menschen gestiegen. Und dies trotz wachsender Ausgaben für internationale Entwicklungszusammenarbeit. Seit 1993 ist allein der Anteil der deutschen offiziellen Entwicklungshilfe am Bruttonationaleinkommen von 0,35 Prozent auf 0,7 Prozent gestiegen. 

Mehr Bescheidenheit, bitte!

So lobenswert und notwendig dieses Engagement auch ist - ein Blick auf die globalen Krisenherde zeigt, dass Geld nur eine Komponente beim Kampf gegen Fluchtursachen ist. Diktatoren, Kleptokraten und Kriegstreiber lassen sich von humanitärer Hilfe und entwicklungspolitischen Marshallplänen leider nicht beeindrucken. Weder der Krieg in Syrien noch im Jemen noch die Flucht der Rohingya aus Myanmar lassen sich entwicklungspolitisch bekämpfen. Das Beispiel vom Irakkrieg 2003 zeigt zudem: Es ist schwierig, Fluchtursachen zu bekämpfen, wenn sie von einer US-geführten "Koalition der Willigen" selbst geschaffen werden.

Kommentarbild Astrid Prange
DW-Autorin Astrid PrangeBild: DW/P. Böll

Keine Sorge: Dies ist kein Aufruf zur politischen Apathie oder gar zum Streichen von Entwicklungshilfe. Es ist eine Aufforderung zu einer größeren politischen Aufrichtigkeit und Bescheidenheit. Und zu mehr politischer Kohärenz. Denn jenseits von Kriegsdiplomatie und Diktatorendialog gibt es viele Möglichkeiten, Fluchtursachen zumindest zu verringern. Leider werden diese nicht ausreichend genutzt.

Hungernde Kleinbauern

Die Liste der unterlassenen Hilfeleistungen ist lang. So könnten Fischer im Senegal von ihrem Fang leben, wenn EU-Flotten nicht die Meeresgründe vor westafrikanischen Küsten plünderten. Und afrikanische Kleinbauern verlören nicht ihre Lebensgrundlage, wenn die EU damit aufhörte, ihre subventionierten Agrarexporte auf afrikanische Märkte zu werfen.

Zudem könnte Deutschland dazu beitragen, die Folgen des Klimawandels abzumildern, wenn es seinen Kohlendioxid-Ausstoß stärker drosselte. Denn die durch extreme Wetterlagen voranschreitende Wüstenbildung und die ansteigenden Meeresspiegel treffen die Ärmsten am härtesten. Und wenn die Bundesregierung keine Waffen mehr nach Saudi-Arabien, Algerien, in die Türkei oder andere Krisenregionen exportierte, gewänne sie an Glaubwürdigkeit.

Berlin könnte also mit gutem Beispiel vorangehen, wenn es im eigenen Kabinett für mehr Kohärenz sorgte. Wie lange hat das Argument noch Vorrang, dass Arbeitsplätze vernichtet werden, wenn Deutschland keine Waffen mehr in Krisengebiete exportiert? Oder dass Klimaschutz die Industrie belastet?

Auch wir als Bürger und Wähler müssen diese Fragen beantworten. Sind wir bereit, unsere bisherigen Maßstäbe für Wohlstand und Lebensqualität neu auszurichten? Diese politische Gretchenfrage ist bisher unbeantwortet. Stattdessen wird immer wieder das Märchen von der Bekämpfung der Fluchtursachen erzählt. Wie vor 25 Jahren. Ein Armutszeugnis in einem reichen Land.

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