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Die Operette geht weiter

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
21. September 2015

Die EU erwartet von Alexis Tsipras nach seiner Wiederwahl, dass er das dritte Hilfsprogramm umsetzt und die griechische Wirtschaft endlich ankurbelt. Doch das könnte verfehlter Optimismus sein, meint Barbara Wesel.

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Griechenland Athen Wahlen Alexis Tsipras
Bild: Reuters/M. Karagiannis

Nichts wünscht sich Brüssel derzeit mehr, als Ruhe an der griechischen Front. Das geht soweit, dass viele auf einen Wahlsieg von Alexis Tsipras hofften, weil sie ihn im vergangenen halben Jahr immerhin schon kennengelernt haben. Wenn auch im doppelten Sinn des Wortes. Aber es gab den Gedanken, der Revoluzzer aus Athen könne in den Monaten des Streits zu einem Nachwuchs-Staatsmann herangereift sein. Einem, der die Verantwortung für sein Land vor Machtgelüste und taktische Spielchen stellt. Dabei hinterließ seine erste Amtszeit nichts als eine Spur der Verwüstung, brachte den Absturz der Wirtschaft und die Schließung der Banken. Aber manche wollen vom Glauben an das Gute im Menschen einfach nicht lassen.

Das Taktieren geht weiter

Jeder Wahlsieger wird von Brüssel beglückwünscht: Da spricht der Ratspräsident bedeutungsvoll von Herausforderungen und konstruktiver Arbeit. Der oberste Europaparlamentarier aber legt den Finger in die Wunde: Er finde es unverständlich, dass Alexis Tsipras erneut eine Koalition mit der nationalistischen Anel Partei eingeht. Aber Martin Schulz weiß natürlich genau, warum der Griechen-Premier das macht: Damit er in Athen einen Koalitionspartner hat, der ihm nicht dreinredet, unangenehme Fragen stellt oder durch eigene Kompetenz auffällt. Hätte Tsipras die früheren Sozialdemokraten oder die liberale Partei Potami mit ins Boot geholt, wären vielleicht ein paar Experten dabei gewesen, die Regierungserfahrung haben oder etwas von Wirtschaft verstehen. Doch das will der Syriza-Chef gerade nicht, obwohl das in seiner eigenen Partei so schmerzhaft fehlt. Er will Alleinherrscher im Regierungspalast sein, und das ist kein gutes Zeichen für die Zukunft.

Vielleicht möchten die Griechen ja gern von ihrem Regierungschef auf Schritt und Tritt belogen werden. Und im Wahlkampf hat Tsipras ihnen wieder das Blaue vom Himmel versprochen: Er könne die Bedingungen des Rettungsprogrammes erleichtern und werde noch mal neu verhandeln. Das ist Unsinn. Erst wenn er Reformen geliefert hat, werden die Gläubiger über "Anpassungen" mit sich reden lassen. Der Premier hat jetzt etwa vier Wochen Zeit, Gesetze zu verabschieden und schmerzhafte Maßnahmen in Gang zu bringen. Die Renten- und Verwaltungsreform wie die Privatisierung der Stromversorgung und der Häfen sind nur Beispiele aus einer langen Liste. Und es reicht nicht, die Forderungen nur formal zu erfüllen. Tsipras braucht Leute, die sie tatsächlich umsetzen. Wie kann aber einer, der seinen Bürgern ständig erzählt, das Reformprogramm sei Erpressung und eine Gemeinheit, einen Kulturwechsel herbeiführen und den Willen, endlich Verantwortung für das eigene Schicksal zu übernehmen?

Barbara Wesel Studio Brüssel
Barbara Wesel, DW-Korrespondentin in BrüsselBild: DW/G. Matthes

Sag den Bürgern endlich die Wahrheit!

Am liebsten zeigt sich der griechische Premier als Volksheld und Rächer der Enterbten: Eine Mischung aus Robin Hood und d'Artagnan von den "Drei Musketieren". Dabei ist er in den nächsten Jahren nichts als Chefverkäufer bitterer Pillen: Er muss den Griechen klar machen, dass die verschriebene Medizin schwer zu schlucken, aber lebensrettend ist. Ohne weitere Reformen kein Wirtschaftswachstum. Und der Weg ist noch schwerer geworden: Das hat Tsipras selbst zu verantworten. Er müsste seinen Bürgern auch erklären, dass die Griechenland-Krise von der europäischen Bühne abgesetzt ist. Wir haben jetzt stattdessen eine Flüchtlingskrise und sind damit voll ausgelastet.

Schließlich: Tsipras müsste dafür sorgen, dass Griechenland endlich funktioniert wie ein richtiger Staat. Der Umgang mit den Flüchtlingen ist eine Schande und hat erneut gezeigt, dass Unwillen und Unfähigkeit in der griechischen Verwaltung regieren. Aber ist der Premier der Mann, der ausgerechnet dort auf den Tisch haut und auch mal Köpfe rollen lässt? Alexis Tsipras hat sich als cleverer Taktierer gezeigt, ob er regieren kann, weiß er vielleicht nicht einmal selbst. Ist der Mann plötzlich erwachsen geworden? Hat er den Ernst der Lage erkannt? Wenig deutet darauf hin. Nur eines ist klar: Am Ende der Straße wartet Wolfgang Schäuble. Und hinter ihm lungert ein Gespenst, und das heißt Grexit.

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