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Die russische Oma und ihre Menschenrechte

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Juri Rescheto
16. Dezember 2015

Russlands Präsident Putin hat einen Erlass unterschrieben, der die russischen Gerichte über die internationalen stellt. In Wahrheit aber wird hier die Hoheit der Politik über das Recht manifestiert, meint Juri Rescheto.

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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Gerichtssaal
Die in Straßburg getroffenen Entscheidungen gelten für Russen nicht mehr uneingeschränktBild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Es stand einmal ein Haus in Perm. Das Haus war schön, aber alt. Sehr alt. Es lebten darin viele Bewohner. Auch sie waren alt. Omas. Eines Tages kam ein Unternehmer. Er war jung. Und reich. Er nahm sich den Keller des Hauses und wollte darin einen privaten Swimming-Pool bauen. Aber das war gefährlich. Das Haus drohte einzustürzen. Die Omas beschwerten sich bei Behörden, aber keine wollte sie hören. Die Gerichte auch nicht. Zu reich war offenbar der junge "Bisnjesmen", zu mächtig. Und so wendeten sich die Omas an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Sie klagten, um nicht eines Tages vom eigenen Dach erschlagen zu werden.

Fälle wie diesen gibt es zuhauf. An den EGMR wenden sich Menschen, die keine andere Chance mehr auf einen aus ihrer Sicht fairen Gerichtsprozess im eigenen Land sehen. Da geht es um bedrohte Menschenleben, Folter, illegalen Freiheitsentzug, religiöse Diskriminierung, unterdrückte Meinungsfreiheit und manchmal eben auch um einstürzende Häuser.

Viele Russen klagen in Straßburg

Nach Angaben des russischen Justizministeriums haben sich 2011 beim EGMR 40.000 Russen beschwert. Ein Fünftel aller Fälle. Drei Jahre später, 2014, war das Land bereits Spitzenreiter. Es teilt seitdem diese unrühmliche Rolle mal mit der Türkei, mal mit der Ukraine.

Russen wenden sich an die internationalen Gerichte, weil das für sie die einzige Chance ist, ihre grundlegenden Rechte zu verteidigen. Es WAR ihre einzige Chance. Denn ab sofort kann das russische Verfassungsgericht die Entscheidungen internationaler Gerichte kippen. Auch und vor allem die Entscheidungen des EGMR. Sogar ohne Anhörung. Was für sich genommen bereits eine Rechtsverletzung ist, sagen die Juristen.

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Juri Rescheto ist DW-Korrespondent in Moskau

Wie sehr russische Gerichte in Menschenrechtsfragen desavouiert sind, zeigen zahlreiche prominente Fälle. Der weltweit bekannteste heißt sicherlich Chodorkowski. Nach Ansicht des EGMR wurde der Öl-Milliardär 2005 unfair behandelt. Ihm wurde eine Entschädigung von 10.000 Euro zugesprochen. Da profitierte der russische Staat sogar von der Entscheidung. Denn was sind schon 10.000 Euro. Viel wichtiger war: Das Gericht erkannte den Fall als nicht politisch motiviert an.

Keine Glaube mehr an Gerechtigkeit vor Gericht

Als 2015 aber die andere internationale Instanz - der Ständige Schiedsgerichtshof in Den Haag - die Zerschlagung des Öl-Imperiums von Chodorkowski als illegal verurteilte und Moskau zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 50 Milliarden Dollar (rund 44 Milliarden Euro) verpflichtete, reichte es dem Staat offenbar und er sagte Njet! Dieses Njet ist aus russischer Sicht ab sofort rechtens.

Bei allem Entsetzen - Michail Chodorkowski ist kein armer Mann. Vermutlich wird er auch weiter für seine Rechte kämpfen. Die Tausende anderen Russen aber, die sich an internationale Instanzen wenden, verlieren mit dem neuen Erlass nicht nur potenzielle Entschädigungen, sondern vor allen jeden Glauben an Gerechtigkeit vor Gericht. Und die Omas in Perm womöglich ihr Dach über dem Kopf. Hoffentlich nicht ihr Leben, sollte das Haus eines Tages tatsächlich einstürzen.

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Juri Rescheto Chef des DW-Büros Riga