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Kommentar: Die Seppokratie

Joscha Weber (aus Zürich)29. Mai 2015

Willkommen im Parallel-Universum FIFA! Eine weit entfernte Galaxie, in der Korruption und Betrug weggelächelt werden können. Jetzt hilft nur noch ein Sturz von außen, hofft DW-Sportredakteur Joscha Weber.

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Zürich FIFA Kongress Blatter
Bild: Reuters/R. Sprich

Alles ist relativ bei der FIFA. Selbst die Zeit. "Ich denke, die Zeit, die ich bei der FIFA verbracht habe, ist nicht lange", sagte Joseph Blatter vor seiner Wiederwahl auf dem 65. FIFA-Kongress. Zur Erinnerung: Dieser Mann ist bereits seit 40 (!) Jahren beim Fußball-Weltverband. 1975 fing er als Direktor für Entwicklungsprogramme an. Sein geschlagener Herausforderer im Kampf um die FIFA-Präsidentschaft, der Jordanier Prinz Ali bin al-Hussein, war damals noch nicht einmal geboren. Nicht nur in diesem Punkt hat Blatter seine ganz eigene Wahrnehmung der Dinge.

Die jahrelange Korruption hochrangiger FIFA-Funktionäre? Für Blatter "nur Einzelfälle". Der öffentliche Sturm der Entrüstung über den x-ten Skandal in der FIFA? Ist für Blatter "Dreck, in den die FIFA hier gezogen wird." Die politische Verantwortung für die Affäre übernehmen? "Ja, das tue ich", sagt Blatter - doch zurücktreten will er deswegen nicht. Blatter macht sich seine Fußball-Welt, wie sie ihm gefällt.

Friede, Freude, Eierkuchen im Hallenstadion

Und seine "Familie", wie er die FIFA nennt, nimmt ihm das tatsächlich ab. Für Außenstehende völlig unverständlich. Doch im Innern dieser Familie gelten eben andere Gesetze. Vor vier Jahren war ich schon einmal hier, im Züricher Hallenstadion, beim FIFA-Kongress 2011. Auch damals gab es öffentliche Kritik an Blatter und der FIFA, nicht ganz so laut wie heute, aber deutlich hörbar. Im Innern des Saales: Friede, Freude, Eierkuchen. Einzig der englische Verband wagte etwas Kritik an Blatter. Damals dachte ich: Eine Parallel-Welt, diese FIFA. Heute weiß ich es besser: Sie ist ein Parallel-Universum.

"Wir brauchen keine Revolution, wir bauchen Evolution", behauptet Blatter allen Ernstes vor den Delegierten und bietet sich dabei als Erneuerer einer "starken FIFA" an, die (von ihm) vor politischer Einflussnahme geschützt werden müsse. Hallo, geht's noch?! Ein System, dass von ihm seit Jahrzehnten geprägt und geformt wurde, will er nun reformieren, so, als ob er nichts mit der bisherigen FIFA zu tun habe? Realitätsflucht wäre hier noch eine schmeichelhafte Diagnose.

Weber Joscha Kommentarbild App
DW-Sportredakteur Joscha Weber: "Bizarre FIFA-Welt"

Wie eine Monarchie mit Erbfolge

Und doch ist sie real, die bizarre FIFA-Welt, in der ein amtierender Präsident wohl niemals aus dem Amt gewählt werden kann, weil er sein Wahlvolk mit millionenschweren Zuwendungen oder Posten bedenken darf. In der es einflussreiche und vermögende "Stimmenbeschaffer" wie Scheich Ahmad al-Sabbah gibt, der dem Vernehmen nach beste Chancen hat, im Gegenzug zu seiner Loyalität zu Blatter vielleicht schon in vier Jahren zu dessen Nachfolger gekürt zu werden. Beide herzten sich auf der Bühne des Kongresses übrigens innig - siegesgewiss, schon vor der Wahl. Die FIFA, eine Demokratie? Eher eine Monarchie mit Erbfolge. Die Seppokratie.

Nachdem er schließlich erneut inthronisiert, pardon, gewählt war, weil sein Gegner Prinz al-Hussein auf einen zweiten Wahlgang verzichtete, jubelte sich Blatter selbst zu: "Let's go FIFA, let's go FIFA! - Ich bin der Präsident von euch allen", rief er dem Plenum zu und warf Bussis in die Runde. Eine Show, wie sie wohl nur Joseph Blatter drauf hat.

Bei aller zur Schau gestellten Heile-Welt-Attitüde: Die nächsten Monate werden ungemütlich für die FIFA. In den USA, der Schweiz und nun auch in Großbritannien laufen Ermittlungen gegen FIFA-Mitglieder. Wenn sich schon von innen nichts ändert, dann eben von außen. Die Seppokratie hat es sich redlich verdient, endlich gestürzt zu werden.

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