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Kommentar: Die USA haben ein Glaubwürdigkeitsproblem

Daniel Scheschkewitz9. März 2006

Auch in diesem Jahr hat die US-Regierung wieder einen ausführlichen Bericht zur Lage der weltweiten Menschenrechte vorgelegt. Doch die berechtigte Kritik verliert an Gewicht, meint Daniel Scheschkewitz.

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Fernschreiber Daniel Scheschkewitz

Jahr für Jahr schreibt das US-Außenministerium in Washington einen umfangreichen Bericht zur Lage der Menschenrechte auf der Welt. Der Bericht, der auch mit Hilfe von Nichtregierungsorganisationen zustande kommt, soll den Abgeordneten im Kongress als Informationsgrundlage und Entscheidungshilfe in außenpolitischen Fragen dienen. Er ist wichtig und verdienstvoll, weil er ein seltenes Licht auf die Zustände in jenen Ländern wirft, die weder über eine freie Presse noch über eine transparente Menschenrechtspolitik verfügen.

In diesem Jahr kritisiert der Bericht besonders die Lage in China, im Iran, in Nordkorea, in Zimbabwe und Birma. Aber auch die noch immer unerfreuliche Lage der Menschenrechte bei den verbündeten Staaten im arabischen Lager, in Ägypten und Saudi-Arabien wird gerügt. Die autoritären Tendenzen in Russland werden ebenso bloß gestellt wie mangelnde Religionsfreiheit in China oder die Zensur des Internet.

Doch bei aller berechtigten Kritik hat der Bericht ein schwerwiegendes Manko. Die USA wirken als Ankläger kaum noch überzeugend, weil ihnen selbst im Kampf gegen den Terror die Richtschnur für eine rechtsstaatlich und menschenwürdige Behandlung abhanden gekommen ist. Brutale Verhörmethoden und die Zwangesernährung in Guantanamo, Berichte über geheime Folterlager in Osteuropa, die Verschleppung von Gefangenen durch die CIA.

Auch im zurückliegenden Jahr haben die USA in Sachen Menschenrechte weiterhin an Glaubwürdigkeit verloren. Immerhin hat der US-Kongress ein Folterverbot verabschiedet, das auch das US-Militär bei seinen weltweiten Einsätzen mit einschließt. Und das US-Außenministerium unter Condoleeza Rice hat die berüchtigte Praxis der Auslieferung von Gefangenen an Staaten in denen gefoltert wird angeblich gestoppt. Aber das reicht nicht. Solange die USA in Guantanamo Gefangene ohne rechtsstaatlichen Prozess auf Jahre hinaus wegsperren, können die Unrechtsregime dieser Welt die US-Kritik leicht als Doppelmoral abtun.

Und doch gibt es einen wichtigen Unterschied, den man nie vergessen darf: In den USA gibt es eine freie Presse, die über die Zustände in Guantanamo berichten kann und die Existenz der geheimen Gefangenenlager überhaupt erst aufgedeckt hat. Im Unterschied zu vielen der kritisierten Staaten ist der US-Kongress frei gewählt. Er kontrolliert die Regierung und nicht umgekehrt. Und mit dem McCain-Amendment zur US-Verfassung hat das Parlament die Regierung bei der Anwendung umstrittener Verhörmethoden in die Schranken gewiesen.

Ob Guantanamo vor der US-Verfassung Bestand haben kann, muss in letzter Instanz vom Supreme Court entschieden werden. Demokratische Kontrollinstanzen schließen Menschenrechtsverstöße nicht aus. Die USA sind der beste Beleg dafür - aber gemessen an den Zuständen anderswo sind die USA noch immer ein Anwalt der Menschenrechte. Auch wenn ihre Glaubwürdigkeit gelitten hat.