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Ein überfälliger Schritt

Rolf Wenkel Kommentarbild App
Rolf Wenkel
16. Dezember 2015

Die US-Notenbank Fed steigt endlich aus der Politik des ultrabilligen Geldes aus. Kritiker fürchten, jetzt werde erst die US- und dann die Weltwirtschaft abgewürgt. Da ist nichts dran, meint Rolf Wenkel.

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US Dollarschein (Foto: Getty Images/AFP/P. J. Richards)
Bild: Getty Images/AFP/P. J. Richards

Mal ehrlich: Hätte die US-Notenbank den heutigen Zinsschritt nicht vollzogen, hätten Fed-Chefin Janet Yellen und ihre Notenbankgouverneure ein massives Vertrauensproblem gehabt. Man kann nicht monatelang die Finanzmärkte auf einen baldigen Einstieg in den Ausstieg aus der Fast-Nullzinspolitik vorbereiten und dann im Dezember sagen: sorry, war alles nicht so gemeint. Im Gegenteil: Viele Experten sagen, Janet Yellen und ihre Kollegen hätten den ersten Schritt in Richtung Ausgang schon viel früher vollziehen müssen.

Die amerikanische Wirtschaft befindet sich in einem soliden Aufschwung, die Arbeitslosigkeit ist zuletzt auf fünf Prozent gesunken. Wann, wenn nicht jetzt, sollte eine Notenbank versuchen, wieder zur Normalität zurückzukehren? Normal ist eben nicht die Nullzinswelt nach der globalen Finanzkrise, sondern das, was die Normalität der vergangenen Jahrzehnte ausgemacht hat: Eine angemessene Rendite fürs Risiko, die Anlegern, Sparern, Pensionsfonds und Versicherungen die Jagd nach immer risikoreicheren Engagements erspart.

Wenkel Rolf (Foto: DW)
Rolf Wenkel, Wirtschaftsredaktion

Kommt der Weltuntergang?

Dennoch wird es viele Akteure am Kapitalmarkt geben, die jetzt den Weltuntergang herbeireden: Die Zinswende werde, vor allem wenn sie zu stark und zu schnell vollzogen würde, den Dollar aufwerten, dadurch die Chancen der amerikanischen Exporteure auf dem Weltmarkt schmälern und die US-Wirtschaft ausbremsen, argumentieren sie.

Die Inflation in den USA ist ähnlich niedrig wie in der Eurozone, mithin könne diese Zinswende neue Deflationsgefahren heraufbeschwören. Und schließlich hätten die Schwellenländer unter dem starken Dollar und einem massiven Kapitalabfluss zu leiden. Kurzum: Die Weltwirtschaft ist wieder mal in Gefahr.

Wer so argumentiert, muss nicht notwendigerweise zu den Pessimisten gehören. Er gehört vielleicht jener Spezies an, die sich an die Politik des ultrabilligen Geldes gewöhnt hat und die ohne diese Droge nicht mehr auskommt. Denn dass die Notenbank ihren Zinskorridor von null bis 0,25 Prozent jetzt um einen viertel Prozentpunkt auf 0,25 bis 0,5 Prozent nach oben schraubt, haben die Finanzmärkte schon längt in ihren Kalkulationen vorweggenommen, "eingepreist", wie das im Expertenjargon heißt.

Und: So historisch diese Zinswende auch sein mag - in den die Beziehungen zwischen der Fed und den Geschäftsbanken wird dieser minimal höhere Zinssatz kaum Auswirkungen haben. Wohl aber wird er die Risikobereitschaft auf der Jagd nach Rendite dämpfen und der spekulativen Blasenbildung vorbeugen.

Politik der kleinen Schritte

Außerdem hat die Fed bereits zu erkennen gegeben, dass sie die Argumente der Pessimisten durchaus ernst nimmt. Denn Frau Yellen und ihre Kollegen haben immer wieder betont, dass die Zinswende "graduell" und "datengebunden" vollzogen wird. Graduell bedeutet zum Beispiel, dass der Leitzins nicht auf einen Schlag erhöht wird, sondern in kleinen Schritten. Und der Begriff "datengebunden" ist ein Hinweis, dass die Fed weitere Schritte von der Entwicklung am Arbeitsmarkt, bei Löhnen und Preisen abhängig macht.

Alles in allem wird die jetzt eingeleitete Zinswende mit ihren homöopathischen Dosen weder die robuste amerikanische Wirtschaft ausbremsen noch die zarte Konjunkturerholung in Europa abwürgen. Eher im Gegenteil wird der tendenziell aufwertende Dollar das Geschäft der europäischen Exporteure mit ihren Handelspartnern in den USA und in Asien, wo auch in Dollar abgerechnet wird, beflügeln und neue konjunkturelle Impulse in Europa setzen.

Alle konnten sich auf die Wende vorbereiten

Einzig und allein die Schwellenländer haben ein Problem: Ihre Schulden, so sie denn in Dollar gehalten werden, werden teurer. Das gilt weniger für China und Indien, aber umso mehr für das hoch verschuldete Brasilien. Die Schwellenländer gehörten einst zu den Profiteuren der Nullzinspolitik der Fed, weil sie ausländischen Anlegern hohe Zinsen boten. Nun werden diese Investoren ihr Kapital wieder abziehen und es in US-Papiere stecken, was viele Projekte in den Schwellenländern in Gefahr bringen kann.

Doch auch hier gilt: Die Fed hat die Märkte monatelang auf die Zinswende vorbereitet. Auch die Schwellenländer hatten also genug Zeit, sich darauf vorzubereiten. Etwa durch Reformen, die mehr Rechtssicherheit schaffen und ausländische Investoren besser schützen. Viel Investitionskapital verlässt die Schwellenländer nicht, weil es in den USA plötzlich abnorm hohe Zinsen gäbe, sondern weil es dort weniger Risiken gibt.

Kurzum: Der Einstieg in den Ausstieg aus der Politik des ultrabilligen Geldes war längst überfällig. Dass Geld fast umsonst zu haben ist - daran haben sich allzu viele Politiker und Marktteilnehmer allzu sehr gewöhnt. Das süße Gift lähmt den Reformwillen und betäubt das Risikobewusstsein der Investoren. Es wird Zeit, dass die Welt wieder zu normalen Verhältnissen zurückkehrt. Das sollte übrigens auch für die Geldpolitik von EZB-Chef Mario Draghi gelten.


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