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Ein geldpolitischer Amoklauf

Rolf Wenkel Kommentarbild App
Rolf Wenkel
3. Dezember 2015

An der jüngsten Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank kann man sehr schön nachvollziehen, wie eine Politik des billigen Geldes mehr Schaden anrichten kann als Nutzen, meint Rolf Wenkel.

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EZB Mario Draghi PK
Bild: Reuters/R. Orlowski

Die Leitzinsen hat die EZB unverändert seit September 2014 bei 0,05 Prozent belassen - Geschäftsbanken bekommen also Zentralbankgeld weiterhin praktisch umsonst nachgeschmissen. Allerdings müssen sie ab heute statt 0,2 nunmehr 0,3 Prozent Strafe zahlen, wenn sie überschüssiges Geld über Nacht bei der Zentralbank parken. Das soll die Institute dazu bewegen, mehr Kredite an die Wirtschaft zu vergeben - wird aber lediglich die Geldhändler der Banken ins Schwitzen bringen. Sie müssen noch knapper kalkulieren, um am Ende des Tages nur ja keine Liquidität übrig zu haben - die Kreditnachfrage wird damit freilich nicht angekurbelt.

Zudem wird die EZB ihr Programm zum Aufkauf von Anleihen um mindestens sechs Monate verlängern. Das Programm werde "bis Ende März 2017 oder länger" laufen, kündigte EZB-Chef Mario Draghi an. Das Anfang dieses Jahres gestartete Programm sollte eigentlich bis September 2016 laufen. Derzeit pumpt die EZB über die Anleihekäufe monatlich 60 Milliarden Euro in den Markt.

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Rolf Wenkel, Redaktion Wirtschaft und Wissenschaft

Lasst Pferde saufen

Karl Schiller, von 1966 bis 1972 Wirtschaftsminister im Kabinett des damaligen Bundeskanzlers Kurt Georg Kiesinger, hat bei seinem Amtsantritt das Ziel seiner Konjunkturpolitik mit dem berühmten Satz umschrieben: "Die Pferde müssen wieder saufen". Indes: Wenig später musste er - in Anlehnung an eine Bemerkung des britischen Ökonomen John Manyard Keynes - feststellen: "Man kann die Pferde zwar zur Tränke führen. Man kann sie aber nicht zwingen zu saufen."

Mit anderen Worten: Es ist sinnlos, eine bereits volle Tränke weiter mit Wasser füllen zu wollen. Doch Mario Draghi gießt weiter Wasser in die überfluteten Tränken. Er ist fest entschlossen, im Kampf gegen die niedrige Inflation in der Eurozone nachzulegen und die Finanzmärkte weiter mit Liquidität zu fluten. Allein: Die Unternehmer - oder, um im Bild zu bleiben: die Pferde - saufen und investieren nicht, und die Inflationsrate verharrt seit einiger Zeit in der Eurozone nahe Null, im Oktober und November betrug der Preisanstieg lediglich 0,1 Prozent.

Das Gespenst der Deflation

Als idealen Wert für die Teuerungsrate strebt die EZB eigentlich eine Inflationsrate von knapp zwei Prozent an. Bleibt dieser Wert jedoch nahe Null oder wird er sogar negativ, droht die Alarmstufe "Rot": Die Unternehmer und Verbraucher könnten Investitionsausgaben und größere Anschaffungen im privaten Konsum - in Erwartung weiter sinkender Preise - aufschieben und so das Wirtschaftswachstum bremsen.

Doch die Politik des ultrabilligen Geldes wirkt langsamer als ursprünglich von der EZB erhofft, die Wirtschaft erholt sich nur langsam, die Pferde saufen nicht. Typisch für dieses Szenario ist die deutsche Wirtschaft: Sie wächst moderat, stagnierende oder sinkende Exporte in die Schwellenländer werden durch steigende Exporte in die Europäische Union ausgeglichen, die Unternehmer zögern mit ihren Anlage- und Erweiterungsinvestitionen, getragen wird der moderate Aufschwung im wesentlichen von der Konsumfreude der Verbraucher.

Ein Amoklauf ins Leere

Auch was die Inflationsrate angeht, reagiert Mario Draghi völlig unangemessen. Denn momentan ist es vor allem der stark gesunkene Ölpreis, der die Teuerung niedrig hält. Dagegen stabilisiert sich die so genannte Kerninflation ohne Energiepreise. Dennoch intensiviert die EZB ihre bisherigen Maßnahmen, anstatt den Ausweg in die geldpolitische Normalität vorzubereiten. Kein Wunder, dass Ökonomen mittlerweile urteilen, die derzeit geringe Inflationsrate erfordere keine zusätzlichen Maßnahmen der EZB, die ohnehin weitestgehend ins Leere laufen.

Stattdessen aber steigern die Entscheidungen der EZB die Risiken für das Finanzsystem. Der Gewöhnungseffekt an die Geldflut und den unnatürlichen negativen Zins fördert nämlich womöglich spekulative Blasen. Kapitalanleger, die ständig auf der Suche nach angemessenen Renditen sind, werden gezwungen, immer höhere Risiken einzugehen. Gleichzeitig werden die Sparer weiter unter massiven Einbußen leiden.

Mario Draghi kann einem leid tun. Die Wirtschaft in Europa erholt sich, langsam zwar, aber sie erholt sich. Und zu vermuten ist: Sie würde sich auch so erholen, ohne den geldpolitischen Amoklauf eines EZB-Präsidenten, der nur noch deflationäre Gespenster sieht.


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