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Politik

Ein guter Vorstoß von Jens Spahn

5. September 2018

Weil nur die wenigsten über ihren Tod nachdenken, müssen jedes Jahr viele, oft junge Menschen sterben. Die deutsche Politik sollte die Organspende gesetzlich neu regeln, meint Christoph Strack.

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Jens Spahn
Bild: picture alliance/dpa/M. Kappeler

Nein, es ist nicht alles gut. Die Lage bei Organspenden in Deutschland ist dramatisch. Es fehlt an Spenderorganen, es fehlt an der Bereitschaft zur Organspende. Nun startet Bundesgesundheitsminister Jens Spahn einen Anlauf zu einer Neuregelung. Und schon kocht die Kritik hoch. Aber es ist gut, dass der CDU-Politiker das Thema angeht.

1997 regelte der Bundestag erstmals per Gesetz die Möglichkeit der Organspende in Deutschland. Das geschah damals nach langer, hitziger Debatte. Es war ein Gesetz, das zu Recht sehr enge Grenzen festschrieb. Mit unschöner, trauriger Regelmäßigkeit gibt es seitdem die gleiche Mahnung: "Jahr für Jahr sterben etwa tausend Menschen in Deutschland, denen die Transplantationsmedizin vermutlich das Leben hätte retten können."

Wer nicht Nein sagt, ist Spender

Der Streit um die Organspende ist so hart, weil er sehr persönlich wird, weil er die Verfügung jedes Einzelnen über seinen Körper berührt. Deshalb hat Deutschland bislang eine sogenannte "erweiterte Zustimmungsregelung". Das heißt: Organe dürfen nur entnommen werden, wenn der Spender zu Lebzeiten oder die Angehörigen in seinem Sinne ausdrücklich zustimmen. Nun strebt Spahn eine "Widerspruchslösung" an. Demnach hätte die Medizin Zugriff auf Organe jedes Verstorbenen, falls es keine entsprechende Gegen-Erklärung zu Lebzeiten oder von den Angehörigen nach dem Tod gibt.

Deutsche Welle Strack Christoph Portrait
Christoph Strack ist Korrespondent im HauptstadtstudioBild: DW/B. Geilert

Wie richtig es ist, die Debatte zu führen und sie auch ganz grundsätzlich zu führen, zeigen Schlaglichter der vergangenen 20 Jahre. Da sind die wiederkehrenden, oft erschütternden Berichte über oft junge Menschen, die vergeblich auf ein Spenderorgan warteten und qualvoll starben. Da berichteten Fachmediziner von Patienten, die sich in ihrer Verzweiflung irgendwo im Ausland (und sicher in einer rechtlichen Dunkelgrauzone) ein Organ einpflanzen ließen und mit unerwarteten gesundheitlichen Problemen zurückkehrten. Da gab es Mediziner, die - rechtswidrig - die Lebendspende unter Verwandten wagten. Da gibt es immer wieder Klagen über eine faktische Verweigerungshaltung von Kliniken (die dem steigenden Kosten- und Personaldruck geschuldet ist). Und da erschütterten in den vergangenen Jahren mehrere Skandale innerhalb der Transplantationsmedizin die Debatte.

Und doch: Jede einzelne dieser Nachrichten und erst recht ihre Häufung spricht für ein neues, grundsätzliches Nachdenken über die Möglichkeit der Organspende und ihren gesetzlichen Rahmen. Auch wenn es jetzt viel zu schnell heißt, eine Widerspruchslösung sei keine Lösung.

Vergleichbare Forderung bereits vor elf Jahren

An dem Punkt war Deutschland schon einmal. Im Frühjahr 2007 forderte der damalige Nationale Ethikrat - was selten war: einmütig - den Bundestag auf, gesetzgeberisch tätig zu werden. Das Expertengremium drängte zehn Jahre nach dem Transplantationsgesetz für einen Systemwechsel - einen Umstieg von der (bis heute geltenden) erweiterten Zustimmungsregelung hin zu einer modifizierten Widerspruchsregelung.

Damals brach wie ein Beißreflex Kritik aus der Politik über den Ethikrat herein. Wohlgemerkt über 24 Experten, die sich viele Monate, ja Jahre den Kopf zerbrochen und mit Ethikern, Medizinern, Betroffenen gesprochen hatten. Es war auch in jenen Jahren ein sensibles Thema: Als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder 2004 einmal an einer öffentlichen Sitzung des Ethikrats teilnahm, ging es - gewiss kein Zufall - um die Organspende. Die Frage treibt also um. Damals wie heute.

Ist eine Entscheidung zuviel verlangt vom Bürger?

Sicher: Bei sehr ernsten, grundsätzlichen Fragen in ethischen Grenzbereichen ist der Bundestag besonders gefordert. Er hat sich dem auch immer wieder gestellt. Und er muss sich angesichts des Stillstands in der Sache auch dieser neuen Debatte widmen, enge Vorgaben machen. Dabei muss er bitte auch (besser als bislang) die Kostenübernahme für die Bereitstellung von Transplantationsmöglichkeiten klären - für die kundigen und sensiblen Gesprächspartner der Angehörigen ebenso wie für strenge Kontrollen. Denn auch daran hapert es seit vielen Jahren.

Und ja, es geht - schaut man auf das Selbstbestimmungsrecht - um einen Eingriff in die Freiheit des einzelnen. Aber ist es zuviel verlangt, wenn sich jeder und jede einzelne - oder im Falle des Todes ohne vorheriges Votum eben die Angehörigen - einmal mit dieser Frage befasst und dann entscheidet?