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Kommentar: Ein historischer Besuch

Kay-Alexander Scholz6. September 2013

Nach dem Besuch von Joachim Gauck in Frankreich ist klar: Die Achse Berlin-Paris ist wieder stabiler geworden, meint Kay-Alexander Scholz.

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Spätestens nach seinem jetzigen Staatsbesuch in Frankreich zeigt sich: Joachim Gauck hat die für Deutschlands Staatsoberhaupt so wichtige eigene Interpretation seines Amts gefunden: Er möchte Deutschland - mit all seiner Geschichte und Gegenwart - wieder vollständig eingliedern in den europäischen Wertekanon.

Seine Motivation dafür ist keine nationale, er möchte kein dominierendes Deutschland. Gauck handelt als überzeugter Europäer. Sein Ziel ist ein Europa, das sich einig ist und so mit einer starken Stimme auftreten kann gegenüber anderen Mächten der Welt wie den USA oder China.

Damit diese Einigkeit in Europa gelingen kann, braucht es einen Prozess. Es braucht Deutschland, das selbstbewusst geworden ist und noch selbstbewusster wird. Sich selbst also bewusster ist über die immer noch schmerzenden Wunden des Nazi-Terrors in Europa, aber auch über den gelungenen Neuanfang nach 1945 und das neue, friedliche Deutschland.

Deshalb geht Gauck an die Orte der Nazi-Verbrechen in Europa. Er besuchte Lidice in Tschechien, reiste ins Nachbarland Niederlande und nun nach Oradour in Frankreich, wo eine SS-Division am 10. Juni 1944 ein grausames Massaker mit hunderten Toten verübte.

Hand in Hand

Fast 70 Jahre danach kam zum ersten Mal ein führender deutscher Politiker nach Oradour, allein diese Tatsache brachte Gauck in Frankreich viel Anerkennung ein. Dennoch war die Spannung dort groß, mit welchen Bildern, Worten und Gesten Gauck seinen symbolischen Besuch begehen würde. Der Gang durch die Ruinen von Oradour wurde drei Stunden live im französischen Fernsehen übertragen.

Unter den Augen der Weltöffentlichkeit, vor allem aber Deutschlands und Frankreichs wusste der Bundespräsident seinen Amtskollegen François Hollande an seiner Seite. Beide haben einen guten Draht zueinander. Gemeinsam reichten sie einander in Oradour die Hand, umarmten einander und einen letzten Überlebenden.

Es gelang. Die Bilder gingen durch alle Medien. Die positive Resonanz war überwältigend.

Streit gehört dazu

Aber der Staatsbesuch in Frankreich hat noch mehr gezeigt: Gauck ist ein Glücksfall für die deutsch-französische Freundschaft. Weil er nicht kühl und distanziert, sondern direkt und emotional redet, passt er so gut zur Mentalität der Franzosen. Er kann deshalb Brücken bauen. Das zeigt sich auch in seinem offenen und herzlichen Verhältnis zu Präsident Hollande. Beide betonen, ihre Freundschaft sei so gefestigt, dass sie auch Differenzen aushalte. Das gehöre, so Gauck, nun einmal zum demokratischen Streit oder zu einer Familie dazu.

Gauck hat den Freunden in Frankreich einen prächtigen Besuch abgestattet - aus traurigem Anlass, aber mit gutem Ergebnis. Denn diese drei Tage bringen die deutsch-französische Freundschaft voran und Präsident Gauck seinem Ziel ein großes Stück näher: Ein Europa, einig und versöhnt.