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Politik

Ein logisches Plädoyer für Zschäpe

5. Juni 2018

Drei von fünf Verteidigern im NSU-Prozess fordern die Freilassung ihrer Mandantin Beate Zschäpe. Aus ihrer Perspektive ist das plausibel. Es wird der mutmaßlichen Rechtsterroristin kaum nützen, meint Marcel Fürstenau.

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NSU Prozess - Zschäpe Altverteidiger ARCHIV
Beate Zschäpe misstraut ihren Altverteidigern Wolfgang Stahl, Anja Sturm und Wolfgang Heer (v.l.) Bild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Es klingt wie eine Provokation, wie eine Verhöhnung der vielen ermordeten und verletzten Opfer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU): "Beate Zschäpe ist keine Mörderin, keine Terroristin." Trotzdem ist das am Dienstag begonnene und mindestens noch bis Donnerstag dauernde Plädoyer ihrer angestammten Pflichtverteidiger in sich schlüssig und konsequent.

Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm vertreten die Interessen der Hauptangeklagten seit Beginn des NSU-Prozesses im Mai 2013. Mathias Grasel und Hermann Borchert sind erst seit Sommer 2015 dabei - der eine als Pflicht-, der andere als Wahlverteidiger. Das Problem: Die Neuen und die Alten verfolgen unterschiedliche Strategien.

Strategiewechsel zahlt sich nicht aus

Zschäpes Verteidiger der ersten Stunde haben der 43-Jährigen geraten, sich in Schweigen zu hüllen. Warum sie sich zweieinhalb Jahre lang daran hielt, im Dezember 2015 aber doch ein Geständnis ablegte, bleibt wohl ihr Geheimnis. Vielleicht wissen es auch ihre später hinzugekommenen Verteidiger Grasel und Borchert. Ihnen vertraut Zschäpe, mit den drei anderen wechselt sie kein Wort mehr. Wegen des total zerrütteten Vertrauensverhältnisses hatten beide Seiten - Angeklagte und Altverteidiger - die sogenannte Entpflichtung beantragt.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau beobachtet für die DW seit Mai 2013 den NSU-Prozess in MünchenBild: DW

Hätte der Strafsenat unter dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl ihrem gemeinsamen Ansinnen entsprochen, fände der NSU-Prozess schon lange ohne das Trio Heer, Stahl und Sturm statt. Sie mussten aber dabei bleiben und legen sich - schon aus Gründen der Berufsehre - weiter mit Elan für Zschäpe ins Zeug.

Unter dem Eindruck ihres Engagements wird die mutmaßliche Rechtsterroristin vielleicht sogar ins Grübeln gekommen sein, ob ihr Wechsel zu Grasel und Borchert der Weisheit letzter Schluss war. Dieses Duo hat immerhin die Hälfte der Beweisaufnahme im NSU-Prozess versäumt und musste sich durch nachträgliches Aktenstudium zunächst mühsam in die höchst komplexe Materie einarbeiten.

Bundesanwaltschaft plädierte nachvollziehbar

Nachdem die Bundesanwaltschaft für Zschäpe eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung beantragt hatte, plädierten Grasel und Borchert im April für maximal zehn Jahre Gefängnis. Eine bemerkenswert hohe Strafmaßforderung, wenn man bedenkt, dass sie für ihre Mandantin das Beste herausholen sollen - und wollen. Das ist schließlich ihre Aufgabe als Verteidiger. Und die Beweislage ist zwar erheblich, aber nicht erdrückend.

Da Zschäpe keine unmittelbare Tatbeteiligung an den zehn Morden und zwei Bombenanschlägen nachgewiesen werden konnte, erscheint das Plädoyer der bei ihr in Misskredit gefallenen Altverteidiger auf sofortige Freilassung keinesfalls weltfremd. Denn die Bundesanwaltschaft musste, um ihre Anklage zu untermauern, sehr weit ausholen. Sie hält Zschäpe vor, ihren mordend durchs Land ziehenden Weggefährten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos den Rücken freigehalten, die Taten mitgeplant und gebilligt zu haben. Eine Sichtweise, die angesichts eines fast 14 Jahre dauernden gemeinsamen Lebens im Untergrund ebenfalls einleuchtend erscheint.

Was die Verteidiger glauben, ist irrelevant

Gewagter ist schon die Argumentation im Zusammenhang mit der Brandstiftung in der gemeinsam genutzten Wohnung in Zwickau. Wie Zschäpe selbst zugab, legte sie dort am 4. November 2011 Feuer, als sie vom Tod ihrer Freunde nach einem misslungenen Banküberfall in Eisenach erfahren hatte. Höchstens wegen dieses Anklagepunktes kann Zschäpe aus Sicht ihrer Altverteidiger verurteilt werden - wegen einfacher Brandstiftung. Die dafür mögliche Bestrafung halten Heer, Stahl und Sturm für so niedrig, dass sie für ihre Mandantin nach inzwischen sechs Jahren und sieben Monaten Untersuchungshaft die sofortige Freilassung verlangen.

Im Lichte ihrer Verteidigungsstrategie ist das logisch. Und trotzdem werden sie damit keinen Erfolg haben. Denn wägt man alles gegeneinander ab, ist und bleibt auch die Sicht der Bundesanwaltschaft überzeugend.

Spannend ist die Frage, welches Urteil der Strafsenat wohl noch im Sommer fällen wird. Das Plädoyer der dienstältesten Zschäpe-Verteidiger ist aufgrund seiner Klarheit durchaus geeignet, das von der Anklage geforderte Strafmaß zu hinterfragen. Ob Heer, Stahl und Sturm wirklich von der relativen Unschuld Zschäpes überzeugt sind oder ob sie rein taktisch argumentieren, ist letztlich zweitrangig.

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