1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ein Typ namens Boateng

Marko Langer Kommentarbild App PROVISORISCH
Marko Langer
15. September 2019

Meist geht es im DW-Bundesliga-Kommentar um sportliche Höchstleistungen oder um Flachpfeifen. Heute geht es um einen Fußballer, der mehr ist als nur ein Sportler. Daumen hoch für Jérôme Boateng, schlägt Marko Langer vor.

https://p.dw.com/p/3PdWA
Fußball Bundesliga Jerome Boateng
Bild: Getty Images/Bongarts/A. Hassenstein

Es gibt aus dem Leben des Fußballprofis Jérôme Boateng ein Foto, das heraussticht aus den Millionen anderer Fotos, die von diesem Ex-Nationalspieler in all den Jahren gemacht wurden. Es entstand am 18. Mai, als Deutschlands reichste und erfolgreichste Fußballmannschaft wieder einmal einen Meistertitel feierte. Auch der 31-jährige Boateng war ausgezeichnet worden. Aber wenige Minuten später war er nicht bei der Ehrenrunde seiner Mannschaftskollegen oder vor der Fankurve zu finden, sondern saß mit seinen beiden Töchtern am Rande auf einem Podest. Eher nachdenklich, wenn nicht sogar sentimental. Die "Süddeutsche Zeitung" schrieb danach, Boateng sei der "einsamste Bayern-Spieler".

Fußball Bundesliga Jerome Boateng mit Töchtern
Hier feiert ein deutscher Fußball-MeisterBild: Imago Images/B. Müller

Wie konnte das passieren? Boateng war unverzichtbarer Teil der Nationalmannschaft, die 2014 in Brasilien Weltmeister wurde. Als der AfD-Politiker Alexander Gauland behauptete, die Leute fänden "ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben", erlebte der in Berlin geborene Sohn eines ghanaischen Vaters eine Welle der Solidarität. Ungefähr in dieser Zeit war Boateng mit seiner Vorliebe für Tätowierungen, Sonnenbrillen, exakte Haarschnitte und farbenfrohe Sneaker auf dem Weg zur Stilikone. In den USA wäre er ein Sport-Showbiz-Super-Hero gewesen.

Besser einen anderen Verein suchen

Und dann? Machte der Körper des 192 Zentimeter großen Sportlers, den manche als besten Innenverteidiger der Welt ansahen, nicht mehr so mit. Zerrung hier, Adduktorenverletzung da, Rückenprobleme, Muskelfasserrisse und und und ... Und nach der missratenenen Weltmeisterschaft 2018 war auch Boateng nicht mehr gut genug für die Nationalelf. Seine Bewegungen sahen mitunter ungelenk aus, absurd.

Von den Bayern-Chefs Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge war in der Folgezeit zu lesen, dass auch sie im Zuge des Kader-Umbaus Boatengs facettenreiche Persönlichkeit suspekt fanden. Ein Fußballer soll Fußball spielen, möglichst gut und ansonsten geräuscharm. Und so stieg bei den Bayern mit Niklas Süle ein anderer Hüne zum Abwehrchef auf, so wurden Benjamin Pavard und Lucas Hernandez eingekauft, obwohl es all die anderen doch gab, Javi Martínez, David Alaba und wie sie alle heißen. Boateng solle sich vielleicht besser einen anderen Verein suchen, hieß es.

Marko Langer Kommentarbild App PROVISORISCH
Marko Langer, DW-AutorBild: Sarah Ehrlenbruch

Dass das trotz diverser Bemühungen des Profis nicht geklappt hat, sagt eine Menge aus über die gnadenlose Business-Welt im Spitzenfußball. Was machte Boateng? Er wurde ruhiger. Hielt sich fit, trainierte. Spielte wenig. Und kam nun an diesem Samstag in Leipzig fünf Minuten vor dem Spiel in die Start-Elf, weil sich Alaba beim Aufwärmen verletzt hatte. Das Spiel, das Boateng danach mit den notorisch über die Knie gezogenen Stutzen machte, erinnerte phasenweise an die großen Zeiten des Mannes. Nur ein Beispiel: 12. Minute, der Abwehrmann gibt den Ball gefühlvoll an die Strafraumgrenze auf Müller, punktgenau, als wäre das Ding eine an einer Schnur gezogene Wattekugel.

Den sollte man nicht verlieren

Der Verteidiger hielt 90 Minuten durch, und als er gegen Ende die gelbe Karte bekam, regte sich Joshua Kimmich stellvertretend für ihn auf: Kimmich wußte, wie wichtig Boateng an diesem Abend für die Bayern war. Den wollte man nicht verlieren.

Zeitschrift BOA Cover
"Deutschland ist cooler": Boateng auf dem Cover der eigenen Zeitschrift

Den sollte man nicht verlieren! Was sagt es eigentlich über uns aus, wenn wir die anfälligen, die unkonventionellen, die mitunter auch unbequemen Typen an den Rand drängen und durch - im Idealfall - mindestens zehn Jahre jüngere Leistungsträger mit 50 Jahren Berufserfahrung ersetzen wollen? Oder das für selbstverständlich halten, etwa im Sport? In Zeiten einer älter werdenden Gesellschaft ist das eine blöde Strategie.

So oder so, jetzt schon ein Drama

Ja, ich weiß, und es darf hier nicht verschwiegen werden: Es gibt diesen Schatten auf Boateng. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung gegen ihn. Die Geschädigte soll eine ehemalige Partnerin sein. Ob man von Boateng als Täter sprechen muss, darüber wird die Justiz in München befinden. Gefährliche Körperverletzung ist keine Kleinigkeit. Für die Betroffenen ist es, so oder so, wahrscheinlich jetzt schon ein Drama. Aber: Ein Typ wie Boateng hat eine gerechte Behandlung verdient. Vielleicht im Gericht, definitiv auf dem Sportplatz, in jedem Fall von uns allen.