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Politik

Eine offene Gesellschaft braucht Sicherheit

30. Dezember 2016

Noch schärfere Gesetze, mehr (Video-)Überwachung, eine schlagkräftigere Polizei - Deutschland soll nach dem Terroranschlag in Berlin aufgerüstet werden. Das ist richtig, reicht aber nicht, meint Sabine Kinkartz.

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Symbolbild Überwachungsstaat
Bild: Alexander Kataytsev/Fotolia

Der Beginn eines neuen Jahres ist eine Zäsur. Nicht nur kalendarisch, sondern auch emotional. Es geht etwas zu Ende und etwas Neues beginnt. Entsprechend groß ist die Fülle der (guten) Vorsätze. Wir wollen etwas ändern. Und uns selbst in der Regel gleich dazu. Wir begrüßen das neue Jahr mit einem Feuerwerk. Wir feiern es und stoßen auf das Bevorstehende an. Das entspricht einer optimistischen Grundhaltung. Alles kann und wird besser werden. Hoffentlich.

Auch unser Land, unsere Gesellschaft erlebt eine Zäsur. Sie wird 2017 zu einem Jahr der Veränderungen machen. Den Einschnitt markiert der Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz, bei dem zwölf Menschen starben. Über die innere Sicherheit wurde schon vorher diskutiert. Nach der Messer-Attacke in Hannover, der Silvester-Nacht in Köln, der Axt-Attacke in einer Regionalbahn in Würzburg, nach der Rucksack-Bombe in Ansbach. Doch mit dem Terrorakt in Berlin eröffnet sich in vielerlei Hinsicht eine neue Dimension.

Terror in den Köpfen

Und das nicht nur, weil die CSU ihre um diese Jahreszeit üblichen, lautstarken Forderungen nach mehr Polizei, mehr Überwachung, schärferen Gesetzen und Ausweitung der Abschiebehaft stellt. Forderungen, die im Übrigen nicht neu sind. Schon der einstige Bundesinnenminister Otto Schilly (übrigens ein SPD-Minister) wollte 2004, dass auf hoher See aufgegriffene Flüchtlinge nicht nach Europa gebracht, sondern direkt zurück geschickt werden sollten.

Kinkartz Sabine Kommentarbild App
Sabine Kinkartz ist Hauptstadt-Korrespondentin der DW

Nein, mit dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt hat sich etwas Grundlegendes verändert. In vielen Köpfen in Deutschland und ja, ich gebe es zu, auch in meinem. Ich habe Angst. Angst vor neuem Terror. Nicht etwa, weil ich fürchte, Opfer eines Anschlags zu werden. Soweit funktioniert meine Ratio dann doch noch, um zu wissen, dass ich eher im Straßenverkehr ums Leben kommen werde, als einem Attentat zum Opfer zu fallen. Nein, es ist die Angst davor, was der Terror aus meinem Land machen wird. Aus der offenen, freien und friedliebenden Gesellschaft, in der ich seit Jahrzehnten unbeschwert leben durfte.

Das Gift des Misstrauens

Ein Unbehagen hat sich breit gemacht. Ein Frösteln. Ein Gefühl der Unsicherheit. Von Freunden und Bekannten, die an den Weihnachtstagen in der Kirche waren, habe ich gehört, dass sie dort misstrauisch in fremde Gesichter geblickt haben. Dass sie beim Anblick eines dunkelhäutigen, bärtigen Mannes froh waren, wenn dieser keinen Rucksack bei sich trug. Dass sie erleichtert waren, wenn neben jungen Migranten deren Betreuer oder Pflegeeltern auftauchten. Ich habe aber auch gehört, dass meine Freunde und Bekannten sich für ihr Denken geschämt haben, dass sie es schlimm fanden, was ihnen durch den Kopf ging.

Unbehagen, Unsicherheit, Angst. Das Gift, das die Terroristen verspritzen, wirkt langsam, aber es wirkt. Bei dem einen schneller, bei dem anderen langsamer. Antworten viele Menschen heute noch mit heroischer Gelassenheit auf den Terror, kann das morgen ganz anders aussehen. Auch wenn es immer Menschen geben wird, die immun sind - sie werden mit jedem Terroranschlag weniger werden. Und das ist es, was mir Angst macht. Denn wer sich fürchtet, der zieht sich zurück. Der schottet sich ab und baut Mauern. Aber hinter Mauern lebt es sich nicht gut. Nicht frei, nicht froh und unbeschwert. Wer sich fürchtet, der sehnt sich zudem nach einer starken Hand. Der ist anfällig für allzu einfache politische Parolen.

Überall beobachtet?

Was können wir tun? Zum einen finde ich es richtig, dass die Sicherheitsvorkehrungen verschärft werden sollen. Polizei und Sicherheitsbehörden müssen dem Terror gewachsen sein und in jeder Hinsicht ausreichend Schlagkraft haben. Und nein, ich bin nicht naiv. Natürlich weiß ich, dass vieles, was vordergründig auf die Bekämpfung des Terrors abzielt, auch Folgen für unbescholtene Bürger haben wird.

Wenn beispielsweise die Videoüberwachung deutlich ausgebaut wird, wenn es immer mehr Kameras im öffentlichen Leben gibt, wenn jeder Schritt nachvollzogen werden kann, wenn Bewegungsprofile erstellt werden können, dann betrifft das jeden Bürger. Bin ich noch frei, wenn ich ständig überwacht werde? Ändere ich nicht vielmehr mein Verhalten im Wissen um die Kameras? Wie viel Privatsphäre gebe ich auf? Was geschieht mit meinen Daten?

Mehr gefühlte Sicherheit ist nötig

Das sind durchaus berechtigte Fragen, aber sie müssen angemessen beantwortet werden. Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat, der sich gegen eine terroristische Bedrohung wehren muss. Tut er das nicht, dann ist er in großer Gefahr. Nicht nur durch den Terror, sondern auch, weil er sich unglaubwürdig macht. Der Staat muss für die Sicherheit seiner Bürger sorgen. Auch für die gefühlte. Jeder weiß, dass absolute Sicherheit nicht zu erreichen ist. Aber jeder will zumindest das Gefühl haben, sicher zu sein.

Dieses Gefühl ist überlebenswichtig für eine offene Gesellschaft. Nur wenn ich mich nicht dauernd misstrauisch umschauen muss, kann ich auf andere zugehen. Das gilt heute noch mehr als früher. Schließlich stehen wir vor der großen Aufgabe, hunderttausende Flüchtlinge zu integrieren und sie so zu Mitgliedern unserer Gesellschaft zu machen. Eine Aufgabe, die nicht zu schaffen sein wird, wenn sich immer mehr Menschen zurückziehen und abschotten.

Deswegen müssen auch die Flüchtlinge ein Interesse daran haben, die offene Gesellschaft zu verteidigen. Sie müssen aufmerksam sein, aktiv gegen Gewalt und Radikalismus in den eigenen Reihen vorgehen. In Verdachtsfällen Hilfe einfordern. Ein guter Vorsatz für das neue Jahr. Auf dass 2017 besser werde, als das letzte Jahr. Hoffentlich.

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