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Politik

Junge, pragmatische Profis

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Jens Thurau
16. Juli 2018

Frankreichs Präsident und Frankreichs Weltmeister-Team, das passt zusammen. Wie Angela Merkel und Deutschland vor vier Jahren. Aber am Ende sollte man Politik Politik und Fußball Fußball sein lassen, meint Jens Thurau.

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WM 2018 - Frankreich - Kroatien Jubel Macron
Bild: picture-alliance/dpa/A. Nikolsky

Zwei Bilder, ähnlicher Anlass, ähnliche Botschaft: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron springt in der Pose eines fitten Spielers auf der Ehrentribüne in Moskau herum, Frankreich ist Weltmeister.

Rio, vier Jahre zuvor: Angela Merkel ist sichtlich ergriffen und freut sich wie ein kleines Mädchen, als Deutschland den Titel holt. Wildes Umherspringen hätte nicht zu ihr gepasst, die ehrliche Freude schon.

Adenauer fand Fußball öde

Dass Politiker sich im sportlichen Erfolg ihrer Landsleute sonnen, ist längst nichts Neues mehr. Obwohl es nicht immer so war: Kaum vorstellbar heute - aber 1954 mochte sich Kanzler Konrad Adenauer, ein Fußball-Muffel, nicht zum Sensationstitel gegen die Ungarn in Bern äußern. Er ging in aller Seelenruhe seinen  Regierungsgeschäften nach. Das Land stand Kopf, doch der Kanzler arbeitete an Gesetzen. Aber da war die Gesellschaft ja auch nicht so mediengesteuert wie heute.

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Jens Thurau ist Hauptstadtkorrespondent

Jetzt kommt der WM-Titel dem jungen französischen Präsidenten gerade recht. Der Triumph passt ins Bild, das er von sich und Frankreich zeichnet, sogar bis ins Detail. Jung, unorthodox, weltoffen - und doch nüchtern und sachlich. Macron bereitet die Franzosen auf unbequeme Reformen vor, drängelt auf Änderungen (endlich) auch in Europa. Und die französische Mannschaft gewinnt nicht im Hurra-Stil, sondern aus fester Defensive heraus. Mit einer Truppe aus Spielern mit Wurzeln in vielen Ländern. Aber das wird längst nicht so eifrig zur Schau gestellt wie bei den Deutschen vor vier Jahren. Ist halt so - in Paris und rund um die Hauptstadt spielen Kinder aus Migrantenfamilien schon seit Jahrzehnten Fußball, viel länger als in Deutschland, das Reservoir ist riesig. Die Deutschen hatten 2006, das ist gerade einmal zwölf Jahre her, das Erweckungserlebnis, dass Spieler, deren Eltern und Großeltern nicht schon Deutsche waren, sehr wohl einen Platz hatten im Team. 

Nicht übertreiben!

Macrons Ansehen im Volk kann der Titel nur helfen, aber ein wacher Blick auf das deutsche Beispiel kann auch zeigen, dass man es mit der Propaganda-Symbiose von Land, Regierung und Mannschaft nicht übertreiben darf. Nicht Angela Merkel, aber der unselige DFB hat genau das getan und die eigene Truppe mit Botschaften in die Gesellschaft überfrachtet, nicht zuletzt auch aus Profitinteresse. Das schlägt jetzt doppelt und dreifach zurück und passt zur negativen und depressiven Grundstimmung in der deutschen Öffentlichkeit im Sommer 2018.

Aber so ganz stimmt auch dieses Bild nicht. Die Deutschen nämlich haben sich das Interesse an der WM durch die kläglichen Auftritte des eigenen Teams nicht verderben lassen. Beim Public-Viewing war es ab sofort weniger stressig, man konnte die Sympathien entspannt verteilen, auf die spielfreudigen Belgier oder sogar auf die Russen - wer hätte das gedacht. Wir waren überrascht über kroatische und britische Autokorsos. Und wir haben gelitten mit den Süd-Amerikanern, jetzt, wo wir mal nicht ihre Gegner waren.

Gefühlt war Frankreich einfach dran

Auffällig war, wie viele Freunde, Bekannte und Familienmitglieder spätestens ab dem Viertelfinale fest mit Frankreich gerechnet haben. Trotz eher durchwachsener Vorrunde. Der Sieg der Franzosen passt in die Zeit. Und seien wir doch mal ehrlich: Man muss gar nicht an die unsägliche Asyldebatte der vergangenen Wochen in Deutschland erinnern, an das Bild der müden Kanzlerin, die im Bundestag die Hände vors Gesicht schlägt, um eine leichte Sehnsucht zu empfinden nach einer strahlenden Person an der Spitze der Regierung, wie sie Frankreich gerade hat. Haben wir aber gerade nicht. Wir haben Horst Seehofer und Olaf Scholz und sind irgendwie ratlos.

Aber nochmal: Nicht übertreiben Frankreich! Am Ende hat einfach die beste Mannschaft gewonnen, zusammengestellt aus den Besten einer goldenen, blutjungen Generation. Wie beim deutschen Team vor vier Jahren. Eigentlich haben sie nämlich so gut wie gar nichts miteinander zu tun: Die Politik, die Gesellschaft und der Fußball, die die schönste Nebensache der Welt.

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