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Politik

Endlich: Die Masern-Impfung wird Pflicht

14. November 2019

Die Impfbereitschaft in Deutschland ist zurückgegangen, weil Technologiefeindlichkeit und Öko-Ideologie gesellschaftsfähig sind. Gut, wenn jetzt der Staat die Kinder vor ihren Eltern schützt, meint Fabian Schmidt.

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Karikatur von Céline Rübbelke Masern
Als Bedrohung sehen viele Eltern von Neugeborenen sinnvolle Schutzimpfungen an

Dass ausgerechnet im hochentwickelten Industriestaat Deutschland in den vergangenen Jahren immer wieder regionale Masern-Epidemien ausbrechen konnten, ist ein Skandal. Denn das müsste nicht sein: Die klassische Masern-, Mumps- und Röteln-Impfung funktioniert längst so gut, dass Masern eigentlich ausgerottet sein könnten. Und eigentlich sollte Deutschland bei der weltweiten Bekämpfung der Masern ganz vorne mit dabei sein.

Aber laut aktueller WHO-Statistik sinkt der Anteil der Bevölkerung, der gegen die Krankheit immunisiert ist: von 97 Prozent im Jahr 2013 auf aktuell nur noch 92 Prozent. Aber erst bei 95 Prozent sprechen Experten von einem Gesamtschutz der Bevölkerung.

Ideologische Vorbehalte verhindern optimalen Schutz

Die sinkende Quote hat zwei Ursachen: Zum einen die Zuwanderung aus Ländern, deren gesundheitliche Standards unter denen in Deutschland liegen. Zum anderen aber an mangelnder Immunisierung der in den vergangenen Jahren geborenen Kinder. Mehr als zehn Prozent der jüngsten Jahrgänge wurden nicht so gegen Masern geimpft, wie es die ständige Impfkommission empfiehlt - nämlich zweimal in den ersten beiden Lebensjahren. Dabei garantiert nur diese Doppel-Impfung lebenslangen Schutz. Rund jedes zwölfte der 2016 geborenen Kinder, hat nicht eine einzige Impfung erhalten!

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DW-Wissenschaftsredakteur Fabian Schmidt

Der Grund dafür ist in den meisten dieser Fälle jedoch nicht die Schlampigkeit der Eltern, die Impftermine verpassen, sondern ideologische Verbohrtheit. Denn ausgerechnet im Wohlfahrtsstaat Deutschland herrscht eine irrationale Ablehnung von moderner Chemie und Medizin. Die Verteufelung von Atomkraft, Chlorhühnchen, transgenen Pflanzen, Polycarbonat und H-Milch ist eine Seite dieser Öko-Lifestyle-Medaille - die Impfgegnerschaft ist die andere. Gerade in der anthroposophisch angehauchten Paradieswelt des biologisch-dynamisch geläuterten Bildungsbürgertums gilt es als chic, sich gegen die Modernität aufzulehnen.

Es ist zwar paradox, aber stimmt: Gerade Mütter mit gutem Bildungsabschluss und hohem sozioökonomischem Status sind bei den Impfgegnern überdurchschnittlich stark vertreten. Die Sehnsucht nach "Natürlichkeit" und "Ursprünglichkeit" versperrt die Sicht auf das, wovor uns die moderne Industriegesellschaft mit ihrer Schulmedizin und ihren technischen Errungenschaften bewahrt, nämlich Krankheit, Siechtum, Armut und Dreck.

Kindeswohl steht über dem Recht der Eltern auf Selbstverwirklichung

Leidtragende dieser Ideologie sind die Kinder. Ihnen bleibt eine bestmögliche medizinische Versorgung vorenthalten, wenn ihre Eltern sich auf Impfabstinenz, Homöopathie oder anderen abergläubischen Hokuspokus versteifen. Aber das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit muss immer höher stehen, als das Recht der Eltern auf Selbstverwirklichung im Lebensstil. Hier hört der Spaß auf.

Der Gesetzgeber hat daher jetzt die richtige und einzig mögliche Konsequenz gezogen: Kinder, die Kindertagesstätten oder Schulen besuchen wollen, müssen geimpft sein. Ebenso Menschen, die in Flüchtlingsunterkünften leben. Denn genau in diesen Einrichtungen, in denen viele Menschen auf engem Raum zusammenkommen, verbreitet sich die Krankheit besonders schnell. Eltern, die ihre Kinder dennoch nicht impfen lassen, müssen mit einem Bußgeld von 2500 Euro rechnen. Das erscheint auf den ersten Blick unangemessen hoch. Da aber Kinder aufgrund der Schulpflicht in Deutschland nicht vom Unterricht ausgeschlossen werden können, muss die Drohung so massiv sein - sonst bliebe sie wirkungslos.

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Fabian Schmidt Wissenschaftsredakteur mit Blick auf Technik und Erfindungen