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Energiewende auf Schlitterkurs

Richard Fuchs3. Januar 2015

Erst höchst ambitioniert, und jetzt doch mutlos? Die Energiewende ist Deutschlands Prestigeprojekt. Doch eine verkorkste Reform gefährdet den Kern des Projekts, meint Richard A. Fuchs.

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Kohlekraftwerk Mehrum
Bild: picture-alliance/dpa/Julian Stratenschulte

Wer auf eisglatter Fahrbahn mit dem Auto durch verschneite Winterlandschaften fährt, der weiß sehr wohl, dass er mit dem Bremsen vorsichtig sein muss. Tritt man zu heftig auf das Pedal, wird das Fahrzeug binnen Sekunden aus der Spur geworfen, ein Dreher und eine Pirouette inklusive. Und genauso wie heftiges Bremsen bei Eis und Schnee nicht zum Erfolg führt, ist die Ökostromreform aus dem vergangenen Jahr das falsche Werkzeug, um die deutsche Energiewende auf Kurs zu halten.

Die Regierungskoalition von CDU, CSU und SPD peitschte im Sommer 2014 eine Reform der Ökostromförderung durchs Parlament. Das Ziel der Reform: Deutschlands Ökostromförderung, geregelt durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz aus dem Jahr 2000, soll künftig keine steigenden Strompreise mehr verursachen. Die Maßnahmen der Ökostrom-Reform könnten genau dieses Ziel erreichen. Doch ein wohl wenig erwünschter Nebeneffekt könnte sein, dass mit der Kosteneinsparung auch der Ausbau der Ökoenergie zum Erliegen kommt.

Denn statt das Ziel einer Stromversorgung von mehr als 80 Prozent Ökostrom im Jahr 2050 konsequent weiterzuverfolgen, hat die Politik der Bundesregierung der Energiewende Ketten angelegt. So ist der Ausbau von Windrädern und Solaranlagen künftig gedeckelt. Das heißt, ein Windrad oder eine Solaranlage bekommt nach den neuen Regeln nur noch dann Fördergeld, wenn zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme der von der Bundesregierung festgelegte Ausbaukorridor noch nicht überschritten ist. Und dieser Ausbaukorridor ist mutlos klein – und für eine ambitionierte Energiewende eher eine Farce!

Richard Fuchs DW-Hauptstadtstudio
Richard FuchsBild: DW/R. Fuchs

Energiewende braucht Mut

So viel Mutlosigkeit, das schafft Planungssicherheit für Bürokraten – und Planungs-Chaos bei Ökostrom-Investoren. Auf mehrere Jahre angelegete Bauvorhaben, etwa von Windparks, werden künftig zu einem finanziellen Kamikaze-Akt. Und könnten zum Ausbremsen eines bis dato dynamischen Sektors führen – der bis heute mehr als 380.000 neue Jobs in Deutschland geschaffen hat.

Es steht viel auf dem Spiel: In weniger als 15 Jahren sind Wind- und Solarstrom zur wichtigsten Stromquelle Deutschlands avanciert. Schon heute sind 27,3 Prozent des hiesigen Stromverbrauchs grün. Doch die jetzt verabschiedeten Regeln taugen nicht, um daran anzuknüpfen. Im Gegenteil – das Zurückrudern dürfte dem Image der deutschen Energiewende weltweit einen herben Rückschlag bescheren.

Mutlos erscheint auch, dass neben unambitionierten Obergrenzen für den Zubau von Windrädern und Solaranlagen auch eines der zentralen Grundprinzipien der bisherigen Energiepolitik ausgehebelt wird. Galt bisher, dass der Ökostrom beim Zugang zum Netz immer Vorrang hat, so wird der Grünstrom in Zukunft gleichberechtigt mit Braunkohle und Atomstrom behandelt. Wie das Streichen dieses sogenannten Grünstromprivilegs mit dem Ziel zusammenpasst, den Anteil des Ökostroms noch um weitere 50 Prozent auszubauen, das konnte auch die x-te Pressekonferenz der Bundesregierung zur Ökostromreform nicht stichhaltig erklären.

Künftig dagegen müssen Ökostromproduzenten ab einer bestimmten Größe ihren Strom selbst vermarkten. Sie können also ihren Ökostrom nicht mehr automatisch ins Netz privilegiert einspeisen, sondern müssen ihn an der Strombörse in Leipzig selbst verkaufen. Das widerspricht erstens dem Kernziel der Energiewende, Strom aus den CO2-schädlichsten Braunkohlekraftwerken durch neue Windräder zu ersetzen. Und es scheint auch auf den zweiten Blick wenig vernünftig, denn es verändert die Akteurslandschaft der Energiewende radikal.

Kein Vorrang mehr für Ökostrom

Kleinere Ökostromproduzenten werden Schritt für Schritt aus dem Markt gedrängt, während den großen Energieunternehmen und insbesondere den vier größten Energiekonzernen in Deutschland ein letzter Überlebensstrohhalm auf Steuerkosten gereicht wird. Denn nur wer groß ist und viel Know-how beim Vermarkten von Strom besitzt, kann dann noch am Ökostrommarkt der Zukunft reüssieren. Der Zwang zur Selbstvermarktung des Grünstroms setzt Know-how voraus, was nur große Unternehmen besitzen. Das Ergebnis: Die Energiewende wird nicht nur ausgebremst, sondern aus der Energiewende in Bürgerhand wird wieder – wie in den vergangenen 100 Jahren deutscher Energiegeschichte - eine Spielwiese für Großkonzerne.

Dabei war die Ökostromförderung in Deutschland vor allem deshalb ein Erfolg, weil die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern seit Jahren hoch ist. Ein entscheidender Faktor für diese hohe Akzeptanz ist dabei, dass mehr als 50 Prozent aller neuen Ökostrom-Anlagen von Privatleuten oder kleinen Energiegenossenschaften betrieben werden. Galt bislang also die Regel, dass die Energiewende dezentral gemacht wird, könnte sie bald wieder 'Big Business' sein.

Die letzte Ökostrom-Reform ist damit eine Gefahr für die dezentrale Energiewende – und eine Gefahr für deren Akzeptanz in der Gesellschaft. Es wird also höchste Zeit, dass diejenigen, die für die Abschaltung der Atomkraftwerke in den letzten Jahren in Deutschland auf die Straße gegangen sind, ihre Protestschilder wieder herausholen. Denn es braucht jetzt mehr denn je Bürgerinnen und Bürger, die eine mutige - und keine mutlose - Energiewende einfordern. Denn letztlich wird nur eine mutige auch eine erfolgreiche Energiewende sein.