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Politik

Erinnern. Gemeinsam erinnern. Für Europa

29. September 2016

An der Schlucht von Babyn Jar vergegenwärtigte Bundespräsident Joachim Gauck die bleibende Verantwortung für die Nazi-Gräuel. Und auch die gemeinsame Verantwortung zur gemeinsamen Erinnerung, meint Christoph Strack.

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Ukraine Gedenkstätte Babi Jar bei Kiew
Bild: DW/A. Magazowa

Wieder ein schwerer Weg. Gut zwei Stunden dauert der Flug von Berlin nach Kiew für Bundespräsident Joachim Gauck. Und es ist doch eine Reise 75 Jahre zurück. In den Irrsinn nationalsozialistischen Tötungswahns. Am Tatort, dem Ort des Grauens, appelliert der 76-Jährige an Täter und Opfer, auch an die verschiedenen Opfergruppen, gemeinsam zu erinnern. Eine höchstaktuelle Mahnung in Zeiten, in denen die Erinnerung an Leid auch nationalistisch entfremdet wird.

Gaucks letzte große Gedenkrede

Es ist wohl, das lässt sich sagen, die letzte der großen Gedenkreden in den fünf Jahren von Joachim Gauck als Bundespräsident. An die 550 offizielle Reden hat er seit seinem Amtsantritt im März 2012 gehalten, knapp ein Viertel davon im Ausland. Seine Reden an deutschen Tatorten in Europa ragen dabei heraus. Momente der schwer zu ertragenden Scham, des Erinnerns, der Dankbarkeit für Versöhnung, der gemeinsamen Verantwortung. Gauck ging im Oktober 2012 nach Lidice in Tschechien, 70 Jahre nach einem Massaker der Deutschen an der Zivilbevölkerung. Im März 2013 war er in Sant'Anna di Stazzema in Mittelitalien, im September 2013 im mittelfranzösischen Oradour-sur-Glane, im März 2014 am Mahnmal von Lingiades. An manchem dieser Orte, so in Oradour, war zuvor noch nie ein deutsches Staatsoberhaupt. Und immer ging es Gauck um das Zeichen gemeinsamen Erinnerns für eine gemeinsame Zukunft in Europa.

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Christoph Strack ist Korrespondent im HauptstadtstudioBild: DW

Babyn Jar hat noch einmal eine andere Qualität. Dort wurden 33.171 Menschen in nur zwei Tagen ermordet, dort starb das einst so große Kiewer Judentum. "Hier offenbart sich erneut der verbrecherische Charakter des rasseideologischen Vernichtungskrieges im Osten Europas", sagt Gauck. Das "abertausendfache Töten durch Erschießen" sei dem industriellen Morden von Auschwitz vorausgegangen. Babyn Jar ist auch ein Ort des russischen Leids, denn dort starben ebenfalls zehntausende sowjetische Kriegsgefangene. Deshalb mahnt Gauck so nachdrücklich und zu Recht für den gemeinsamen Blick zurück. Er will "Gedächtnis Raum geben" für die Menschen, die in dieser Schlucht am Stadtrand von Kiew ermordet wurden - nicht allein für ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Opfergruppe. Da starben nicht nur Juden, Soldaten oder Partisanen, da starben Nachbarn, Freunde und Kinder.

Die europäische Dimension des Gedenkens

Und wie bei seiner Rede in Oradour kommt Gauck gegen Ende seiner Ansprache auf die europäische Dimension, die europäische Perspektive. Denn die Sorge um die Entwicklungen in Europa, die aufbrechenden Nationalismen, die neuen Grenzen - das treibt ihn um in den vergangenen Monaten. Die Ukraine sei "Teil unserer europäischen Wertegemeinschaft". Und die Ukrainer hätten daran erinnert, dass ihrem Land heute und auch in Zukunft "als souveräne Nation in einem Staat, dessen territoriale Integrität zu achten ist", ein Platz in der Familie der Völker zustehe.

"Indem ich mich vor all den Opfern von einst verneige, stelle ich mich an die Seite all der Menschen, die heute Unrecht benennen, Verfolgten Beistand leisten und unverdrossen für die Rechte der Menschen eintreten, denen die Menschenrechte versagt werden." Es ist ein hoher Anspruch, den Gauck da formuliert. Aber er gründet in der Demut und Kraft, mit der er erinnert hat in seinen fünf Jahren. Um Deutschen und Europäern gemeinsame Zukunft zu bewahren.

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