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Politik

Es gab keine "Tod den Juden"-Rufe

Kommentatorenbild (Vorläufig) - Armin Langer - Publizist aus Berlin
Armin Langer
28. Dezember 2017

Deutsche Zeitungen hatten über antisemitische Demonstrationen berichtet, nachdem die USA ihre Jerusalem-Entscheidung verkündet hatte. Eine Fake-News. Zeit, sich für die Panikmache zu entschuldigen, meint Armin Langer.

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Demonstranten verbrennen Fahne mit Davidstern in Berlin
Bild: picture-alliance/dpa/Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V.

"Wer 'Tod den Juden' ruft, gehört vor Gericht", befand Bundesjustizminister Heiko Maas, kurz nachdem die Meldung die Runde gemacht hatte. Dieser Ruf wurde aber nie von der Menge skandiert, wie eine Recherche von "Übermedien" belegt. Weder die Polizei, noch andere Beobachter der Demonstration vor dem Brandenburger Tor - wie das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus - konnten die "Tod den Juden"-Rufe bestätigen. Ohne die Behauptung zu überprüfen, die zuerst im Berliner Kurier und in der Berliner Zeitung veröffentlicht wurde, übernahm fast die ganze deutsche Presse diese Falschmeldung - auch die Deutsche Welle. Als Ergebnis wurden die Demonstration und darauf folgende Veranstaltungen pauschal als antisemitisch bezeichnet. Tagelang war auf allen Kanälen ausschließlich der Antisemitismus unter Muslimen das Dauerthema. Trumps Entscheidung im außenpolitischen Kontext wurde in den Hintergrund gedrängt. 

Stimmung machen mit Klischees

Im Medienfokus standen eindeutig die Demonstrationen bei denen antisemitische Parolen gerufen worden sein sollen. Wie zum Beispiel "Kindermörder Israel": Diese Formulierung spielt mit dem mittelalterlichen Klischee, dass Juden das Blut von unschuldigen Kindern trinken würden. Kaum jemand bezeichnet Saudi-Arabien oder Russland als "Kindermörder", obwohl ihre Luftwaffen im Jemen beziehungsweise in Syrien genauso Kinder umbringen, wie es die israelische Luftwaffe im Gazastreifen tut. Außerdem wurde bei der genannten Kundgebung der Spruch "Chaibar, Chaibar, du Jude!" gerufen, mit dem einige Demonstranten an den Feldzug Mohammeds im Jahr 628 gegen Chaibar, eine damals von Juden besiedelte Oase auf der arabischen Halbinsel, erinnern wollten. Das Schicksal der dort besiegten Juden war aber nicht ihre Vernichtung - sondern ihre Unterwerfung. Ihn mit "Tod den Juden" zu übersetzen wäre falsch. Der Chaibar-Ruf wurde laut Aufzeichnungen zudem nicht von Tausenden skandiert.

Kommentatorenbild (Vorläufig) - Armin Langer - Publizist aus Berlin
Publizist Armin LangerBild: K. Harbi

Die palästinensischen Veranstalter der Kundgebung und viele muslimische Vereine verurteilten diese antisemitischen Parolen, sowie die Verbrennung der selbstgebastelten israelischen Fahne durch einige, zu identifizierende Demonstranten - obwohl dieser Akt an sich nicht antisemitisch ist. Die israelische Fahne steht nicht für die Juden, sondern für die Israelis.

Zwei Drittel der Juden auf der Welt sind keine Israelis und die israelische Bevölkerung besteht nicht nur aus Juden, 20 Prozent von ihnen sind Araber. Das Symbol des Davidsterns macht die israelische Nationalfahne noch nicht zur "Fahne der Juden", so wie der Halbmond die türkische Flagge nicht zur "Fahne der Muslime" macht. Die Fahnenverbrennung ist trotzdem zu verurteilen, weil sie Israelis als eine homogene Masse behandelt und für Trumps Entscheidung verantwortlich macht.

Antisemitismus als konstanter Bodensatz der Gesellschaft

Inzwischen ist es aber zu spät und die Gefahr des antisemitischen Mobs wurde heraufbeschworen. Juden in der Bundesrepublik wurden mit diesem Bild in Angst versetzt. Mehrere berichteten nach diesen Kundgebungen, sie würden sich nicht trauen, ihre Chanukka-Leuchter ins Fenster zu stellen, weil da draußen ihr Tod gefordert werde. Laut Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, erlebten Juden "ein Déjà-vu", eine "Pogromstimmung".

Der Antisemitismus ist aber nicht neu in Deutschland, sondern ein konstanter Bodensatz der Gesellschaft. Der Antisemitismus-Bericht des Bundestages erklärt, dass 20 Prozent der Deutschen antisemitische Vorurteile pflegen. Es gibt auch keinen absoluten Anstieg von antisemitischen Straftaten: Im Zeitraum zwischen 2001 und 2015 sind pro Jahr zwischen 1268 und 1809, im Durchschnitt 1522 antisemitische Straftaten verübt worden, darunter durchschnittlich 44 Gewalttaten. In Jahren, in denen der israelisch-palästinensische Konflikt eskalierte - 2002, 2006, 2009, 2014 - gab es jeweils einen Anstieg von Straftaten im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr. Die Zahl ging im Folgejahr wieder zurück. Das wird auch voraussichtlich 2018 so aussehen, wenn im nächsten Jahr der Nahost-Konflikt wieder weniger Menschen hierzulande beschäftigen wird. 

Emotionalen Debatten mit Sachlichkeit begegnen

Dennoch: Georg Pazderski (AfD) und Jens Spahn (CDU) warnten vor einem "importierten Antisemitismus". Hass auf Juden ist aber keine Importware. Er ist "Teil der europäischen Kulturgeschichte, insbesondere der deutschen", wie es Benjamin Steinitz von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin formuliert. Das spiegeln auch die Zahlen des Antisemitismus-Berichts des Bundestags wider: Mehr als 90 Prozent aller antisemitischen Straftaten werden von Rechtsextremen begangen.

Juden werden weiterhin in Deutschland diskriminiert. Diese Herausforderung muss aber mit Sachlichkeit angegangen werden, zum Beispiel mit der Förderung von Bildungs- und Begegungsprojekten - und nicht mit emotionalen Debatten und falschen Behauptungen. Es wäre deshalb angebracht, wenn sich die beteiligten Journalisten, Politiker und Würdenträger nun mindestens genauso laut entschuldigen würden. Bei den Muslimen in Deutschland - weil sie erneut pauschal dämonisiert wurden. Und bei den Juden - weil sie unnötig in Angst versetzt wurden.

Armin Langer, Jahrgang 1990, studierte Philosophie und jüdische Theologie in Budapest, Jerusalem und Potsdam. Er lebt als Publizist in Berlin.

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