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Politik

Europa der zwei Geschwindigkeiten

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Jens Thurau
19. April 2018

Deutschland und Frankreich waren und sind der Motor der Entwicklung in Europa. Aber Angela Merkel hat inzwischen Probleme bekommen, das Tempo Emmanuel Macrons mitzugehen, meint Jens Thurau.

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Berlin PK Merkel und Präsident Emmanuel Macron
Bild: Getty Images/AFP/J. McDougall

Das übliche gegenseitige Küsschen auf die Wange gab es diesmal auf einer Baustelle: dem Humboldt-Form im Herzen Berlins. Wie passend. Gebaut wird gerade viel in Deutschland und Frankreich. In Frankreich gerade mit höherem Tempo.

Zwei ungleiche Partner: Die eine, Angela Merkel, hat ihr politisches Lebenswerk zwar noch nicht vollendet, aber sie ist nach mehr als zwölf Jahren im Amt auf der Zielgeraden. Mehr oder weniger. Der andere, Emmanuel Macron, hat gerade erst begonnen, steckt voller Elan und will in Europa vor allem eines: mehr Solidarität des reichen Deutschland mit weniger betuchten Euro-Ländern. Auch mit Frankreich.

Merkel will weiter den Takt angeben

Angela Merkel hat seit 2005 ihre Partei quer durch die politische Mitte geführt, Atomkraftwerke stillgelegt, die Wehrplicht abgeschafft. Durch ihre liberale Flüchtlingspolitik hat sie Europa fast gespalten und den Reformländern einen rigiden Sparkurs aufgezwungen. Immer wieder hat sie angedeutet, dass die Baustelle Europa der Hauptgrund dafür ist, dass sie noch einmal vier Jahre weitermacht. So zerstritten wollte sie den Kontinent nicht zurücklassen. Und sie will dabei den Ton angeben und den Takt. Wie sie es lange gewohnt war.

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Jens Thurau ist Korrespondent im Hauptstadtstudio

Das Problem ist: Macron hat eine konkrete Idee für ein anderes Europa, Merkel hat sie nicht. Und könnte sie auch kaum durchsetzen. Marcon will grob gesagt - wie auch immer organisiert - eine Art Länderfinanzausgleich für die Euro-Länder. Gegen seine Pläne gibt es offenen Widerstand in Merkels Partei und sogar beim SPD-Finanzminister, der das Erbe des Sparkommissars Wolfgang Schäuble verteidigen möchte.

Und die Kanzlerin kennt ihre Pappenheimer: Europa war zuletzt stets ein schwieriges Thema bei CDU und CSU, Angela Merkel war immer zu mehr bereit als ihre Partei. 2015, bei der Abstimmung über das Hilfspaket für Griechenland, versagten 63 Konservative im Bundestag ihr die Gefolgschaft. Heute wäre bei einem solchen Abstimmungsergebnis die Koalition am Ende. In so eine Lage will  die machtbewusste Kanzlerin nicht noch einmal geraten. Und in der Opposition gibt es mit der FDP und der AfD zwei EU-kritische Parteien, die Merkel unter Druck setzen.

Der neue Leader heißt Macron

So haben sich die Akzente verschoben: Merkel muss gerade beim Thema Zusammenarbeit mit Frankreich für Europa erkennen, dass ihre Macht schwindet. Eine Mehrheit für eine wirklich progressive, neue Europa-Politik à la Macron findet sich weder im Bundestag, noch in der immer EU-skeptischeren Gesellschaft. Macron macht Druck, er wartet schon lange mehr oder weniger geduldig auf eine Reaktion aus Berlin, was seine Europa-Ideen angeht. Aber lange war Merkel mit der quälenden Regierungsbildung beschäftigt.

Was auch immer demnächst geschieht in der EU: Der Eindruck könnte entstehen, dass Macron der neue Leader ist und Merkel ihm folgt oder folgen muss oder sich eben weigert. Die Zukunft Europas liegt Merkel am Herzen, es muss bitter für sie sein, dass sie entschieden weniger handlungsfähig ist als je zuvor. Aber vielleicht rächt sich eben auch, dass die Kanzlerin es versäumt hat - wie eigentlich bei allen Themen - den Deutschen ihre Pläne für Europa einmal klar und deutlich zu erklären. Womöglich ist es nun zu spät.

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