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Politik

Europa sollte sich weniger Sorgen um Trump machen

Hofmann Max Kommentarbild
Max Hofmann
21. Januar 2017

Die Europäische Union schaut gebannt nach Washington und verfolgt ängstlich jeden Schritt des neuen US-Präsidenten Donald Trump. Dabei sollte sie sich lieber um ihre eigenen Probleme kümmern, meint Max Hofmann.

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EU und US Fahne
Bild: Imago/Manngold

Die NATO hält er für "obsolet", er erwartet das Auseinanderbrechen der EU und droht BMW mit Strafzöllen. Ob berechnend oder irrlichternd - die Aussagen des frisch gekürten US-Präsidenten haben hohe Wellen geschlagen in Europa. Vor allem aber in Brüssel, wo die EU-Institutionen ihren Sitz haben. Die Reaktionen fielen gemischt aus. Im Europäischen Parlament sprachen Abgeordnete von "Wahnsinn" und "Schwachsinn". Die EU-Außenminister äußerten sich qua Amtes diplomatischer, aber insgesamt wurde auch in vergangenen Woche (wieder) klar: Europa kann sich mit der Inauguration von Donald J. Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht länger auf die USA verlassen.

EU aus sich selbst heraus stabilisieren

Was tun, wenn der bisher engste Partner einfach abtaucht? Das, was die EU schon lange hätte machen müssen: Ihr eigenes Haus in Ordnung bringen - unabhängig davon, was "The Donald" in den USA anstellt. Brexit, Migration, Euro - es gibt genug zu tun. Frei nach dem Sprichwort "ein Jeder kehre vor seiner Tür". Denn wenn wir als Europäer ehrlich sind, dann ist das, was auf dem alten Kontinent passiert, aus amerikanischer Perspektive - und nicht nur aus der - nicht mehr nachvollziehbar. Würde ein US-Parlamentarier die europäische Zerstrittenheit und Zaghaftigkeit als "Wahnsinn" oder "Schwachsinn" bezeichnen - man dürfte ihm keinen Vorwurf machen.

Aber zurück zur europäischen Perspektive:  Worauf muss sich die EU einstellen? Soll sie Trump beim Wort nehmen? So richtig mag keiner glauben, was der so von sich gibt, vor allem weil innen- wie außenpolitisch viele seiner Projekte nicht umsetzbar scheinen. Deshalb ziehen nun manche die Spieltheorie oder unternehmerische Verhandlungsstrategien heran, um die richtige Interpretation für die Phrasen des neuen US-Präsidenten zu finden. Andere glauben, Trump sei einfach nur inkompetent und seine Äußerungen in Interviews häufig nichts anderes als spontanes Gerede. Für Europa aber sollte es nicht länger darauf ankommen, was Trump nun eigentlich genau meint und ob es einen Sinn ergibt. Schaffen es insbesondere die EU-Mitgliedsstaaten nicht bald, die Union aus sich selbst heraus zu stabilisieren, dann ist diese in der Tat dem Untergang geweiht. Zwei Bereiche haben dabei absoluten Vorrang: Verteidigung und Wirtschaft.

Mehr für die eigene Verteidigung tun

Militärisch spüren viele bei der NATO bereits jetzt den Trump-Schock. Nicht zuletzt, weil sich die neue Administration auch hier völlig unvorbereitet zeigt und erst einmal - wohl für eine ganze Weile - ohne Botschafter bei der NATO da steht. Befürchtungen, die Amerikaner könnten nun der NATO ihre Unterstützung entziehen, keine Sicherheitsgarantie mehr leisten oder gar ganz aus dem Bündnis austreten, scheinen dennoch übertrieben: Selbst wenn Trump so verrückt wäre, dieses Ziel zu verfolgen - er würde spätestens im US-Kongress damit scheitern. Ein Einmarsch Russlands im Baltikum steht also auch unter dem neuen US-Präsidenten erst einmal nicht zu befürchten.

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Max Hofmann leitet das DW-Studio in Brüssel

Richtig ist aber, dass den Europäern wieder einmal, wenn auch eindringlicher denn je, vor Augen geführt wurde, was sie jahrzehntelang versäumt haben. Jetzt muss Europa wirklich aufhören, sich allein auf die Amerikaner zu verlassen und endlich mehr für die eigene Verteidigung tun. Von deutlich höheren Militärausgaben bis hin zu einem britisch-französischen Atomschirm für den alten Kontinent - all das muss jetzt auf den Tisch.

Viel besorgniserregender aber sind die potenziell desaströsen Auswirkungen des Präsidenten Trump auf die Wirtschaft Europas. Sicher, zu allererst müssen sich die Amerikaner selbst Sorgen machen. Trumps Milliardärs-Kabinett könnte die Wall Street wieder entfesseln, die bereits weit geöffnete Schere zwischen Arm und Reich noch mehr aufreißen, das Staatsdefizit in noch schwindelerregendere Höhen treiben. Darüber hinaus befürchten viele Experten die Überhitzung der US-Wirtschaft, ausgelöst durch Börseneuphorie und die angekündigten US-Infrastrukturprogramme. Inflation, Spekulationsblasen, Handelskriege - all das käme viel schneller als ein dritter Weltkrieg und träfe die schwächelnden Staaten der EU knallhart.

Keinen Einfluss auf "The Donald"

Denn hier in Europa hängt die Eurozone immer noch in der Schwebe zwischen Leben und Tod - nichts Halbes und nichts Ganzes. In Brüssel hört man immer häufiger, dass die Gemeinschaftswährung in ihrer jetzigen Form nur durch noch stärkere Integration überleben kann, was politisch aber derzeit nicht durchsetzbar ist. Alternativ muss das europäische Projekt zurück gefahren werden. Eines scheint sicher: So wie es ist, kann es nicht bleiben. Sollte eine Wirtschaftskrise "Made in USA" Europa in diesem Zustand treffen, hätten die Institutionen und auch die Europäische Zentralbank kaum Möglichkeiten zu reagieren. Vor allem die EZB hat mit ihrer extrem lockeren Geldpolitik bereits so gut wie alle Trümpfe ausgespielt.

Deshalb sollten sich Diplomaten und Politiker in den EU-Institutionen weniger Sorgen um den neuen US-Präsidenten machen. Vielleicht wird alles so schlimm, wie von vielen befürchtet. Vielleicht hat er sich aber doch mit ausreichend Kompetenz umgeben, um die USA in den nächsten Jahren nicht gegen die Wand zu fahren. Die EU wird seinen Kurs jedenfalls kaum beeinflussen können. Was die Mitgliedsstaaten aber selbst steuern können, ist ihr eigenes Schiff. Sie sollten endlich damit anfangen und ein festeres Fundament für ihre eigene Zukunft bauen. Sollte die Angst vor Donald Trump die Europäer dazu bringen, mehr Zusammenhalt und Entschlossenheit zu zeigen, dann hätte der neue US-Präsident etwas Positives bewirkt.

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