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"Spinner"-Äußerung rechtmäßig

Heiner Kiesel10. Juni 2014

Joachim Gauck hat Anhänger und Aktivisten der NPD als "Spinner" bezeichnet. Das Bundesverfassungsgericht ließ das noch einmal durchgehen. Gauck sollte seine Worte künftig vorsichtiger wägen, meint Heiner Kiesel.

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Symbolbild Bundesverfassungsgericht; Foto: dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Es ging nicht darum zu klären, ob die Aktiven im Umfeld der rechtsextremen Partei NPD Spinner sind - denn dafür bedarf es nicht des Bundesverfassungsgerichts. Die Karlsruher Richter wollten viel mehr klären, ob ein Bundespräsident diese Personen als solche bezeichnen dürfe. Joachim Gauck hatte dies im vergangenen August vor 400 Berliner Oberschülern wiederholt getan. Einmal in Bezug auf die vehementen Proteste gegen ein Asylbewerberheim und dann in einer Antwort seine Meinung zu einem Verbot der NPD betreffend. Er sei parteiisch und übe "Schmähkritik", ärgerten sich die Extremisten - und das auch noch kurz vor einer Bundestagswahl! Zum ersten Mal wurde ein Bundespräsident wegen seiner Wortwahl angeklagt.

Sie können sich weiter ärgern, denn das Bundesverfassungsgericht befand es als zulässig, dass sich der Bundespräsident mit klaren Worten ausdrückt und auch seine persönliche Einstellung zur Geltung bringt. Der Bundespräsident könne weitgehend frei darüber entscheiden, "bei welcher Gelegenheit und in welcher Form er sich äußert und in welcher Weise er auf die jeweilige Kommunikationssituation eingeht", heißt es in der Urteilsbegündung. Inwieweit er sich am Leitbild eines "neutralen Bundespräsidenten" orientiert, unterliege weder generell noch im Einzelfall gerichtlicher Überprüfung.

Kein "Maulkorb" aus Karlsruhe

Es ist eine wichtige Klärung, die auch für Gaucks Nachfolger im Amt des Bundespräsidenten von grundsätzlicher Bedeutung sein wird. Die Verhandlung hat auch dazu gedient, verfassungsrechtliche Maßstäbe für deren Äußerungen zu konkretisieren. Die seien juristisch kaum abgesteckt gewesen, wie es ein Sprecher des Gerichts ausdrückte. In der Entscheidung wird dem Bundespräsidenten eine weitreichende Freiheit zur politischen Meinungsäußerung zugebilligt. Es wird keinen "Maulkorb" geben. Das ist wichtig auch für die zukünftigen Amtsträger, denn sie wirken vor allem Kraft ihres Wortes im politischen System Deutschlands. Und ein Staatsoberhaupt, das Klartext spricht, Missstände offen anspricht und Gefühle äußert, kann die politische Debatte besser in die Gesellschaft tragen als ein Präsident, der jedes Wort mühsam abwägt.

Zweifelhafte Zuspitzung

Jetzt ist es erst mal schön für Anhänger der diskursorientierten politischen Auseinandersetzung und der offenen Gesellschaft, wenn sich die NPD ärgert. Gaucks klare Worte waren ein Stilbruch und parteiisch - nicht unbedingt präsidial, aber sympathisch. Gauck - der Bürgerpräsident, so sieht er sich auch selbst gerne. Ein schaler Geschmack bleibt dennoch. Er wird noch verstärkt durch den Äußerungszusammenhang. Vor den Berliner Schülern Anhänger und Sympathisanten der NPD als Spinner darzustellen macht die Sache zu einfach. Es dient nicht dazu, Heranwachsenden, die eben noch vom Abreißen von Wahlplakaten gesprochen haben, zu einem ernsthaften Umgang mit dem Problem des Rechtsradikalismus zu bewegen. Außerdem werden die gefährlichen Rechtsextremisten durch den Begriff "Spinner" verharmlost. "Spinner" - das sind Leute, die eben nicht so richtig wissen, was Sache ist. Obendrein sind Spinner gewöhnlich keine Personengruppe, mit der man sich wirklich auseinandersetzt. Spinner, die gibt es halt. Gauck hätte darüber sprechen können, was diese extremen Subkulturen ermöglicht. Unschön ist auch, dass Gaucks Anwalt den Ausdruck von den Spinnern damit rechtfertigte, dass sich das Staatsoberhaupt dem Sprachniveau seiner Zuhörer habe annähern wollen. Er sollte das nächste Mal bedenken, dass Berliner Oberschüler differenziertere Darstellungen sehr wohl begreifen können.