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Freiheit für Gao Yu!

26. November 2015

Ein Berufungsgericht hat die Strafe gegen Gao Yu von sieben auf fünf Jahre reduziert. Trotz der Kürzung: Das Urteil ist ungerecht und die chinesische Journalistin muss frei gelassen werden, meint Matthias von Hein.

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Gao Yu (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/dpa/F. Singer

Die Reduzierung des Strafmaßes gegen die Journalistin Gao Yu von sieben auf jetzt fünf Jahre Haft ist nicht genug. Jede Minute, die Gao Yu eingesperrt ist, ist eine Minute zu viel! Und Gao, die auch für die Deutsche Welle gearbeitet hat, verbrachte allein wegen ihrer unerschrockenen Berichterstattung schon viel zu viel Zeit im Gefängnis: 15 Monate Haft nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989. Nochmal sechs Jahre zwischen 1993 und 1999. Und seit ihrer letzten Verhaftung im April 2014 sitzt die 71-jährige schon wieder seit über anderthalb Jahren hinter Gittern - nach Angaben ihrer Familie ist sie gesundheitlich schwer angeschlagen. Der Vorwurf lautet: Verrat von "Staatsgeheimnissen".

Wegen der schwammigen Definition von "Staatsgeheimnissen" nutzt Peking diesen Vorwurf, wenn Journalisten und Dissidenten zum Schweigen gebracht werden sollen. Außerdem praktisch für die Machthaber: Geht es in Justizverfahren um Staatsgeheimnisse, muss der Prozess nicht öffentlich geführt werden.

DW-Redakteur Matthias von Hein (Foto: DW)
DW-Redakteur Matthias von Hein

Geständnis unter Druck

Als am Dienstag das Berufungsverfahren gegen Gao unter Ausschluss der Öffentlichkeit begann, fand auch der 13. Menschenrechtsdialog zwischen der deutschen und der chinesischen Regierung statt. Dabei brachte die deutsche Seite auch den Fall Gao Yus vor - und erntete frostige Reaktionen der chinesischen Gastgeber. Deutschland solle die Unabhängigkeit der chinesischen Justiz respektieren. Außerdem gebe es keine Auskünfte, solange Verfahren nicht abgeschlossen seien.

Diese Replik ignoriert, dass in jüngerer Zeit Untersuchungsgefangene in mehreren politisch sensiblen Fällen zu Geständnissen vor laufenden Fernsehkameras gezwungen wurden. Auch von Gao Yu wurde am 8. Mai 2014 ein "Geständnis" im staatlichen Fernsehen gesendet. Sie hat es später widerrufen und erklärt, man habe sie mit Druck auf ihren Sohn erpresst.

Vor allem aber gehört die von der chinesischen Seite so betonte Unabhängigkeit der chinesischen Justiz zu genau den Punkten, vor denen das Parteidokument warnt, dass Gao angeblich weiter gegeben haben soll. Der Gao Yu vorgeworfene Verrat von Staatsgeheimnissen soll ja gerade in der Weitergabe des sogenannten "Dokuments Nr. 9" bestanden haben, das Parteikader im Frühjahr 2013 ausdrücklich vor sieben für die Parteiherrschaft gefährlichen Themen warnte. Neben der Unabhängigkeit der Justiz zählten dazu: universale Werte, Zivilgesellschaft, Bürgerrechte, Pressefreiheit, Fehler der Partei in der Vergangenheit und Privilegien der Kader. Weder Medien noch Hochschulen sollten sich damit beschäftigen.

Repression von Journalisten und Aktivisten

Allerdings beschäftigte sich die Justiz mit diesen Themen. In einer für die vergangenen Jahrzehnte beispiellosen Welle wurden Journalisten und Blogger verhaftet. Neben Gao Yu sind derzeit über 100 weitere in Haft. In einer ebenso beispiellosen Verfolgungswelle wurden seit diesem Sommer rund 300 Anwälte, Mitarbeiter von Kanzleien, Menschenrechtsaktivisten oder deren Familienangehörige verhaftet oder unter Hausarrest gestellt. Etwa 30 Personen sollen noch immer in Haft sein. Rechtssicherheit sieht anders aus! Rechtssicherheit, an der auch ausländische Investoren und Geschäftspartner größtes Interesse haben. Rechtssicherheit würde auch Sippenhaft ausschließen. Aber auch die ist im China des 21. Jahrhunderts gängig. Das zeigt der Druck auf die Familie von Gao Yu oder auch der jahrelange Hausarrest gegen die Frau des inhaftierten Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo.

Staats- und Parteichef Xi Jinping hat in den drei Jahren seit seinem Machtantritt mehr Macht auf seine Person konzentriert als alle seine Vorgänger seit Deng Xiaoping. Jede Hoffnung, er würde diese Machtfülle auch zu politischen Reformen nutzen, hat sich als falsch erwiesen. Stattdessen erscheint Chinas Kommunistische Partei wie ein Koloss auf tönernen Füßen, weil sie sich offensichtlich von einer 71-jährigen Frau bedroht fühlt. Solange die Partei keine offenen Diskussionen aushält, verwandelt sich der von Xi Jinping immer wieder beschworene "chinesische Traum" in einen Albtraum.

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Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein