1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Keine Entwarnung!

Ines Pohl Kommentarbild App
Ines Pohl
16. Februar 2018

Bei aller Freude über die Freilassung von Deniz Yücel dürfen wir nicht vergessen, dass noch immer weit über 100 Journalisten in der Türkei in Gefängnissen sitzen, meint DW-Chefredakteurin Ines Pohl.

https://p.dw.com/p/2spQD
Türkei Istanbul Freilassung Deniz Yücel (Veysel Ok)
Bild: Twitter/Veysel Ok

Ich kenne Deniz seit vielen Jahren. Habe sechs Jahre fast täglich mit ihm gearbeitet. Um die Titelgeschichte und die besten Schlagzeilen gestritten. Das war nicht immer ein Vergnügen. Aber immer intensiv. Und ich habe sehr viel von seiner Hingabe gelernt. Deniz ist ein hervorragender, angstfreier und wirklich origineller Journalist. Er kann wunderbar beschreiben, in seinem sehr eigenen Stil nahezu poetisch und feinfühlig. Er kann aber auch Krawall. Er weiß, wie man Aufmerksamkeit bekommt. Und behält.

Kraft der öffentlichen Inszenierung

Eine Fähigkeit, die auch viele seiner Freundinnen und Freunde haben. Sie waren es, die nicht aufhörten zu trommeln, Solidaritäts-Konzerte zu organisieren, Autokorsos überall in der Republik hupen zu lassen. Der Hashtag #FreeDeniz war allgegenwärtig.

Es war auch diese Kraft der öffentlichen Inszenierung, die die deutsche Politik nicht aus ihrer Verantwortung ließ. Offenbar noch in der Nacht vor der Freilassung wurde auf höchster politischer Ebene verhandelt. Die genauen Hintergründe des Deals kennt dabei - noch - keiner.

Nach einem Jahr und zwei Tagen wurde Deniz Yücel jetzt endlich entlassen. Als ich davon hörte, konnte ich die Tränen nicht zurück halten. Dieser Freigeist so viele Tages- und Nachtstunden in Isolationshaft und hinter Gittern!

Ines Pohl Kommentarbild App
DW-Chefredakteurin Ines Pohl arbeitete als taz-Chefredakteurin mit Deniz Yücel zusammenBild: DW/P. Böll

Kein happy ending

Als dann die ersten Bilder veröffentlicht wurden, wie Deniz seine geliebte Dilek unter freiem Himmel umarmte, mussten sicher viele schlucken. Deniz ist der Schmerz tief ins Gesicht gegraben. Wie ein Ertrinkender klammert er sich an die Frau, die er während seiner Haft heiratete. Ein ergreifendes happy ending?

Nicht wirklich. Denn bei aller Freude und Erleichterung über seine Freilassung dürfen wir eines nicht vergessen: Deniz ist nur einer von mehr als 100 verhafteten Journalisten in der Türkei.

Und wer hofft, dass Präsident Erdogan mit dieser Haftentlassung eine neue Ära der Entspannungspolitik eröffnet, wurde umgehend eines besseren belehrt: Kaum war bekannt geworden, dass Deniz Yücel entlassen werden sollte, ließen Erdogans Richter sechs andere türkische Journalisten zu lebenslanger Haft verurteilen. Da hatte Deniz das Gefängnis noch gar nicht verlassen.

Der Kampf darf nicht aufhören

Dass es sich dabei nicht um deutsche Staatsbürger handelt, spielt für die diplomatischen Möglichkeiten einer Bundesregierung eine wesentliche Rolle. Aber sollte für die Zivilgesellschaft nicht an erster Stelle stehen.

Es war bewegend, vielleicht auch überraschend, wie viele sich im vergangen Jahr für die Freilassung von Deniz eingesetzt haben. Mit Deniz Freilassung darf dieser Kampf nicht aufhören. Weltweit sitzen über 300 Journalistinnen und Journalisten in Gefängnissen, werden zum Teil gefoltert, weil sie sich für die Freiheit der Presse eingesetzt haben.

Und bei aller Freude und Erleichterung gilt gerade auch heute: So lange nur ein Journalist wegen seiner kritischen Arbeit hinter Gittern sitzt, dürfen wir nicht aufhören zu mahnen, die Politik aufzufordern, sich einzusetzen und für die Freilassungen zu kämpfen. Ich bin mir da ganz sicher: Das ist genau das, was auch Deniz sich jetzt wünscht.

Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!

Ines Pohl Kommentarbild App
Ines Pohl Büroleiterin DW Studio Washington@inespohl