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Politik

Gegen ein Projekt "Angst für Europa"

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
3. Juli 2018

Er will "Brückenbauer" sein, sagt Österreichs Kanzler Sebastian Kurz als neuer Ratspräsident der EU. Dabei trägt er vor allem mit seiner Migrationspolitik eher zur Spaltung Europas bei, meint Barbara Wesel.

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Österreich Grenze - Grenzschutzübung Proborders
Vor einer Woche übte die österreichische Polizei die Abwehr von Migranten am Grenzübergang SpielfeldBild: picture-alliance/dpa/R. Schlager

Der Europäischen Union geht es kaum anders als dem Rest der Welt: Sie hat lange in der Sicherheit funktioniert, dass alle Krisen mit Kompromissen bewältigt werden können und keiner an den demokratischen Grundfesten der Gemeinsamkeit rüttelt. Jetzt muss sie erleben, wie alte Gewissheiten auch in der EU hinweggefegt werden und sie vor der Aufgabe steht, ihre Identität neu zu bestätigen. Stattdessen aber kommt der junge österreichische Kanzler und meint, er müsse dem ganzen Verein einen Rechtsruck verpassen. Damit könnte Sebastian Kurz seine Aufgabe als Ratsvorsitzender im nächsten Halbjahr dramatisch verfehlen.

Wer aus dem Fahrersitz des Europäischen Rates heraus die Vorhaben der EU für sechs Monate steuert, muss dabei gewissermaßen den Tiger reiten. Egal wo einer parteipolitisch herkommt, soll der Vorsitzende für Ausgleich zwischen nationalen Interessen, Befindlichkeiten und politischen Zielen sorgen. Dazu gehört auch, eigene Anliegen für eine Weile zurück zu stellen.

Mit Nationalismus Europa bewahren?

Es ist eine Ironie des Zufalls und dem Brexit geschuldet, dass Kurz sich überhaupt in dieser Rolle findet. Turnusmäßig wären nämlich die Briten dran gewesen, zogen sich aber wegen ihres EU-Austritts zurück. Österreich rückte auf und verkörpert durch seine Regierungskoalition mit der rechtsextremen FPÖ jetzt auf besondere Weise das, was manche für den neuen Zeitgeist in Europa halten: die Abkehr von der liberalen Demokratie. Jedenfalls betreibt FPÖ-Parteichef Strache eifrig den grenzüberschreitenden Schulterschluss mit Gesinnungsgenossen in den Nachbarländern. Hier bahnt sich eine Internationale der Populisten an, während Regierungschef Kurz angestrengt wegschaut und europäische Plattitüden abspult.

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Barbara Wesel ist DW-Korrespondentin in Brüssel

Damit macht er einen politischen Grundfehler, weil er von Anfang an seine Glaubwürdigkeit verspielt. Aber da steht Kurz nicht allein. Der Schmusekurs mit dem Ungarn Viktor Orbán, der in seinem Land neuerdings Flüchtlingshelfer als Kriminelle  bestrafen will, stellt hier die Ursünde dar. Und da sitzt die ganze konservative Europäische Volkspartei mit im Boot, die Orbans Kurs in die Autokratie seit Jahren schweigend deckt und deren moralische Appelle und pro-europäische Reden längst wie Heuchelei wirken. 

Sebastian Kurz aber will uns glauben machen, man könne gleichzeitig den Nationalismus fördern und Europa dennoch irgendwie erhalten. Schließlich profitiert gerade das kleine Österreich von seinen Segnungen. Aber das eine schließt das andere aus: Entweder wird in Wien "Österreich zuerst" gekräht, oder der Kanzler arbeitet für die Gemeinschaft. Das gleiche gilt für Italien, wo Matteo Salvini die Häfen schließt und gleichzeitig nach der Solidarität der Europäer ruft. Und was sich in den vergangenen Tagen bei der CSU in Berlin und München abgespielt hat, sieht verdächtig nach "Deutschland über alles" aus und scheint aus der gleichen Denkfabrik zu kommen. Was hier verkauft wird, ist eine politische Mogelpackung! Entweder Nationalismus oder Europa - da werden sich die Regierungs- und Parteichefs entscheiden müssen. Der verlogene Doppelkurs aber nutzt nur dem weiteren Aufstieg der Rechten und verbreitet den Keim der europäischen Zerstörung.

Trump und Putin sind Europas wirklichen Probleme

Der österreichische Kanzler stellt die Migrationspolitik in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Da gibt es zweifellos einiges zu tun, weil sich die EU seit Jahren nicht auf  vernünftige Lösungen einigen kann. Aber die wichtigsten Themen Europas dürften derzeit der Zerfall der westlichen Wertegemeinschaft sein, Donald Trumps Handelskriege und sein zu erwartender Angriff auf die Nato. Wer will, kann noch Präsident Putins Lust an der Einmischung und seine Machtgelüste hinzufügen. Dort liegen die wirklichen Bedrohungen für uns alle, nicht bei den rund 40.000 Migranten, die in diesem Jahr bisher an den Küsten der EU gelandet sind.

Wir brauchen kein Projekt Angst in Europa, mit dem Migranten zum Sündenbock gemacht werden für politische Versäumnisse in den Mitgliedsländern, für einen Mangel an Gerechtigkeit und Umverteilung. Und wir brauchen keine nationalen Alleingänge, die einen humanen und fairen Umgang mit dem weltweiten Phänomen der Wanderungsbewegungen verhindern.

Wir alle kennen noch aus dem 20. Jahrhundert die Folgen, wenn die Mehrheit gegen Minderheiten aufgehetzt wird. Aber eine ganze Reihe von europäischen Politikern scheint derzeit Lust zu haben, erneut in diesen Abgrund zu blicken. Und einige wohnen offensichtlich auch in Bayern. Sie spielen mit dem Feuer und setzen dabei Europa aufs Spiel. Das könnte sich noch als historischer Fehler erweisen. 

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