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Geisterspiele als notwendiges Übel

DW Kommentarbild Jörg Strohschein
Jörg Strohschein
23. April 2020

In der Bundesliga muss der Ball rollen, damit alle Vereine die Corona-Krise überleben. Der Vertrauensverlust der Klubs riesig. Doch wer Veränderungen fordert, muss zuvor mit Geisterspielen leben, sagt Jörg Strohschein.

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Coronavirus - Köln Tageskassen sind am RheinEnergieStadion geschlossen
Bild: picture-alliance/dpa/F. Gambarini

Eines vorweg: Der Vertrauensverlust, den die Bundesliga mit ihren Protagonisten in den vergangenen Jahren in der Öffentlichkeit erlitten hat, ist groß - und er hat sich in der Corona-Krise noch einmal verschärft. Dass Vereine, trotz Gesamt-Zuwendungen von über vier Milliarden Euro jährlich, bereits nach einem Monat in sehr reale Existenznot geraten, zeugt von Entfremdung, irrealer Abschottung gegenüber der Außenwelt und auch von einer Selbst-Überhöhung fast über das erträgliche Maß hinaus.

Die "hohe wirtschaftliche Stabilität" der Liga, die DFL-Geschäftsführer Christian Seifert in seinem Wirtschaftsbericht zum Jahr 2019 Mitte Februar noch lobte, wurde innerhalb kürzester Zeit ad absurdum geführt - und wird nun zum Bumerang.

Legitimes Ansinnen

Und doch ist es legitim von der Deutschen Fußball Liga (DFL), für den Fortbestand des Profifußballs zu kämpfen und alles dafür zu tun, dass Insolvenzen vermieden werden und Klubs weiter bestehen können. So wie es auch jedes andere Unternehmen dieser Republik sofort macht, wenn es die Gelegenheit durch mögliche Lockerungen seitens der Politik erhält. Den Klubs kann dabei sogar die gute Absicht unterstellt werden, dass sie sich tatsächlich um die über 56.000 Jobs sorgen, die mit der Bundesliga mittel- und unmittelbar zusammenhängen.

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Zu vernachlässigen ist in diesem Zusammenhang allerdings das häufig geäußerte Argument, dass der Fußball in diesen schlechten Zeiten bei den Menschen für eine Gemütsaufhellung und die nötige Abwechslung im tristen Corona-Alltag sorgen kann. Das ist das typische Gefasel von (zu) vielen Fußball-Funktionären, um ihr Tun zu legitimieren. Bei den Geisterspielen geht es einzig und allein um das pure Überlebensinteresse jedes einzelnen Klubs - das unmittelbar mit den Fernseheinnahmen aus den Geisterspielen zusammenhängt.

Es sind natürlich auch Zweifel angebracht, was den gesamtgesellschaftlichen Diskurs angeht - der in Sachen Fußball schon traditionell hochemotional geführt wird. Die DFL verspricht, die Partien ohne Zuschauer und die damit verbundenen Corona-Tests nur stattfinden zu lassen, wenn diese Tests nicht an anderer Stelle fehlen. Unstrittig ist: Nur dann dürfen Geisterspiele überhaupt in Betracht gezogen werden. Und hier kommt das Thema Vertrauensverlust erneut ins Spiel.

Verloren gegangene Glaubwürdigkeit

Wer wie die Bundesligaklubs so häufig, flexibel mit der Wahrheit umgeht und so in den begründeten Verdacht gerät, stets nur das eigene Wohl im Sinn zu haben, der kann in Krisenzeiten nur sehr schwer glaubhaft argumentieren. Selbst wenn sich die DFL unterschiedliche Expertisen eingeholt hat und sich hat versichern lassen, was eine ausreichende Zahl an Tests ist, so bleibt bei Außenstehenden doch das Gefühl, dass die Sache einen Haken haben könnte, vielleicht sogar haben muss. Ein kaum mehr aufzulösendes Problem der verloren gegangenen Glaubwürdigkeit.

Die Bundesliga, die DFL, präsentiert und vermarktet ein Produkt: Das ist eine der wichtigsten Selbsterkenntnisse, die die Verantwortlichen um Christian Seifert schon jetzt aus dieser Krise gezogen haben. Wenn ihnen die Politik erlaubt, dieses Produkt ab einem bestimmten Tag im Mai wieder anzubieten, dann sollte ihnen dieser Versuch - unter allen zu berücksichtigenden Vorgaben - auch gestattet werden. Wie bei jedem Möbelhaus, Baumarkt oder Autohaus.

Das ist unabhängig von der Kritik, die viele Fußballfans nach wie vor üben - an der nicht enden wollenden Kommerzialisierung des Profifußballs und dem schier zügellosen Kapitalismus, der auch in der Bundesliga herrscht. Dass ein Umdenken in der Branche stattfinden muss, daran gibt es wohl kaum noch Zweifel. Die Zeit ist spätestens jetzt reif dafür. Allerdings kann es nur Veränderungen geben, wenn die Klubs die Krise auch überleben - und dafür braucht es zunächst nun mal die Geisterspiele.