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Gesellschaft

Wenn ein Werbespot die Männlichkeit verletzt

DW Kommentarbild Kate Ferguson
Kate Ferguson
18. Januar 2019

Der neue Werbespot des Rasierklingen-Herstellers Gillette hat in den Sozialen Medien gigantische Diskussionen ausgelöst. Und ja, die Herren der Schöpfung haben allen Grund, sich zu ärgern, meint Kate Ferguson.

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Symbolbild Südländischer Macho
Bild: picture-alliance/CHROMORANGE/R. W. Hapke

Manche Männer sind so sauer, dass sie ihre Nassrasierer wegwerfen. Alles, bloß kein Weichei sein! Auch wenn das bedeutet, wie ein Neandertaler auszusehen.

Wo wir schon von Neandertalern sprechen: Die hatten es damals gut, oder? In den Höhlen war die Rollenverteilung ganz klar: Die Männer waren Jäger, die Frauen Sammlerinnen. Nichts, wofür man sich schämen müsste. Und nach der Jagd wurden die Herren von den Damen stets mit einem Lächeln in der Höhle erwartet.

Das waren noch Zeiten, als die größte Gefahr für das männliche Ego Bären waren - und nicht Rasierklingen. Als Frauen ihre Kreativität noch dazu nutzten, um aus Wacholderbeeren Marmelade zu machen, anstatt Werbespots, in denen es um konkrete Alltagserfahrungen geht. 

Spüren Sie auch, wie Ihnen langsam die Tränen kommen - ähnlich wie jenen verweichlichten Männern im Werbespot von Gillette? Was ist überhaupt deren Problem? Warum sollten sie über ihre männliche Identität nachdenken, während vor ihrem geistigen Auge ein Zusammenschnitt von Szenen sexueller Belästigungen aus Filmen und der Realität läuft? 

Ein abscheulicher Appell an das Gewissen 

Der aufgeklärte britische Kommentator Piers Morgan - der sich auf Instagram, anders als sonst, plötzlich mit Vollbart zeigt - hat es erfasst: "Lasst Jungs verdammt nochmal Jungs sein und Männer verdammt nochmal Männer - und hört auf mit diesem zerstörerischen Krieg gegen die Männlichkeit", twitterte er.

Hört, hört. Aber um ehrlich zu sein: Ja, er hat recht, es ist ein Krieg! Nicht einer der traditionellen, in dem routinemäßig Menschenleben geopfert werden. Die sind ja die guten Kriege - wenigstens gibt es da echte Panzer und Granaten. Viel gefährlicher ist doch die Kampftruppe der politischen Korrektheit, angeführt von haarigen Feministinnen, die "Sexismus!" brüllen. Und nun hat Gillette eine Invasion dieser Truppe in die männliche Welt der Körperpflege erlaubt - das geht zu weit! Jetzt gibt es keine sicheren Räume mehr, keinen "safe space".

DW Kommentarbild Kate Ferguson
DW-Redakteurin Kate Ferguson

Eine "Triggerwarnung" wäre ja wohl das Mindeste gewesen. Jede Waffe, die eine viel kleinere Bedrohung der Männlichkeit darstellt, ist schließlich mit einem Warnhinweis versehen. "Die folgende Werbung könnte Sie dazu bringen, sich selbst in einem negativen Licht zu sehen", hätte am Anfang des Spots stehen müssen. Dann könnte man das Video einfach überspringen und direkt die Kommentare lesen.

Aber nein! Während der Zuschauer mit männlich-stolz gespreizten Beinen bequem auf der Couch sitzt und darauf wartet, dass sein Lieblings-Rasierklingen-Hersteller wie üblich einen Zusammenhang zwischen einer guten Rasur und Männlichkeit suggeriert, bringt dieser Spot etwas ganz Abscheuliches: einen Appell an das Gewissen!

Es tut weh, sich als Schuft zu sehen

Diese Architekten der Selbstreflexion sind die echten Feinde in der #MeToo-Ära. Jene, die es wagen, unser Psychogramm unter die Lupe zu nehmen. Unsere Schwächen hervorzuheben. Und uns auf unser Fehlverhalten aufmerksam zu machen.

Weil das nämlich weh tut. Es tut weh, die eigene Komplizenschaft mit einer Kultur der Abwertung zu erkennen, die sich nicht nur gegen Mädchen und Frauen richtet, sondern auch gegen andere Jungen und Männer. Es tut weh, daran zu denken, dass es vielleicht unangemessen war, einem Mädchen auf der Straße hinterherzupfeifen oder der Kellnerin eine anzügliche Bemerkung nachzurufen. Es tut weh, daran zu denken, dass man im Meeting ständig eine Kollegin unterbrochen hat oder die Lorbeeren für ihre Idee geerntet hat. Dass man Jungen verbal herabgewürdigt hat, die nicht dem eigenen Männlichkeitsideal entsprechen. Oder dass man versucht hat, sie zu einer Miniatur-Version seiner selbst zu modellieren.

Es tut weh, sich selbst als Schuft zu sehen. Erlauben Sie sich also, verletzt zu sein! Seien Sie wie eine Schneeflocke und haben Sie den Mut, über die Welt um sich herum zu reflektieren. Lassen Sie den Ärger schmelzen, verwandeln Sie ihn in das Beste, was daraus entstehen kann.

Und nicht vergessen: Egal, wie gut einem Mann sein Bart steht - die Neandertaler, deren üppige Gesichtsbehaarung hinter dem zeitgenössischen Trend zum langen und großflächigen Bart steckt, sind schon lange ausgestorben!