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Grass' Werk kam zu kurz

Jochen Kuerten 452 Latin Bonn 201503 18
Jochen Kürten
13. April 2015

Starrköpfig und unbequem fanden ihn viele Deutsche zuletzt. Sein Bekenntnis, in der SS gewesen zu sein, schadete seinem Ruf. Und sein literarisches Werk? Das verdient mehr Wertschätzung, meint Jochen Kürten.

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Lübeck Übersetzertreffen Günther Grass
Bild: picture-alliance/dpa

Es ist eine interessante Frage: Wie würde man heute über den Schriftsteller Günter Grass urteilen, hätte er sich mit seinen politischen Äußerungen nur ein wenig zurückgehalten. Und hätte er vor allem zu einem früheren Zeitpunkt über seine Zugehörigkeit zur Waffen-SS gesprochen. Wahrscheinlich wäre heute ganz Deutschland stolz auf diesen Autor. Stolz auf den Verfasser des Romans "Die Blechtrommel", stolz auf den Literaturnobelpreisträger und Schriftsteller von weltliterarischem Rang.

Ist Deutschland heute noch stolz auf Grass? Auch wenn der Schriftsteller jetzt in vielen Nachrufen gewürdigt wird, so bleibt bei vielen ein Unbehagen. Das hat vornehmlich drei Gründe.

Lust an der Provokation

Erstens: Grass ist zu oft angeeckt. Politisch hat er sich immer wieder weit aus dem Fenster gelehnt. Das war natürlich sein gutes Recht. Und vielleicht auch Aufgabe eines kritischen, Bücher schreibenden Autors in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Doch Grass hat sich nicht nur für die Sozialdemokratie und Menschenrechte engagiert, Themen, die auch politisch Andersdenkende irgendwann akzeptiert haben.

Der Schriftsteller hat immer wieder Sujets so weit ausgereizt, sowohl in der Kunst als auch als Appell in der Öffentlichkeit, dass vielen seiner politischen Gegner die Zornesadern platzten.

Günter Grass grantelte auch gegen die deutsche Wiedervereinigung: Viel zu schnell, tönte es damals aus Lübeck. Grass plädierte dafür, erst einmal zwei deutsche Staaten zu erhalten. Auch Grass' Meinung zu Israel sorgte für Empörung: Das Land sei ein Kriegstreiber und gefährde den Weltfrieden - von Iran und anderen arabischen Mächten war keine Rede.

Auch mit seinen Äußerungen zu Helmut Kohls Besuch auf einem Soldatenfriedhof, die er als Geschichtsklitterung bezeichnete, machte er sich unbeliebt.

Jochen Kürten (Foto: DW)
Jochen Kürten

Grass gerierte sich als Gewissen der Nation. Zumindest empfanden das viele so. Und weil Grass, anders als etwa sein langjähriger literarischer Mitstreiter Heinrich Böll von anderem Wesen war, temperamentvoll, um nicht zu sagen, stets zur Provokation aufgelegt, stieß er mit seinen Reden und seinem Auftreten halb Deutschland vor den Kopf.

Spätes Bekenntnis

Zweitens: Als der Schriftsteller 2006 in seinem autobiografischen Text "Vom Häuten der Zwiebel" bekannte, er sei in jungen Jahren der SS beigetreten, kam es zum Super-Gau. Ausgerechnet er, der Prediger des guten Gewissens - so empfanden es viele Menschen - habe geschwiegen über seine eigene Vergangenheit, das gehe nun wirklich zu weit. Dass Grass bei seiner Gefangennahme durch die US-Alliierten diese Mitgliedschaft nicht verschwiegen und diese auch später gegenüber Schriftstellerkollegen eingestanden hatte, half ihm nicht mehr. Ein Geschichts-Mahner, der selbst nicht offensiv mit der eigenen Geschichte umgeht, - das brach ihm schließlich in Teilen der Öffentlichkeit das Genick.

Im Kampf mit der Literaturkritik

Der dritte Grund für das angeschlagene Image des Literaturnobelpreisträgers in seiner Heimat darf nicht unterschätzt werden. Grass hat sich früh in einen dauerhaften Clinch mit der heimischen Literatur-Kritik begeben. Und da sich Deutschlands einflussreichster Kritiker Marcel Reich-Ranicki und sein Hausorgan "Frankfurter Allgemeine Zeitung", die von vielen als wichtigste intellektuelle Stimme des Landes empfundene Zeitung, vehement kritisch mit Grass auseinandersetzten, wurde das Bild des Schriftstellers auch dadurch nachhaltig negativ geprägt.

Die Verletzungen, die auf beiden Seiten entstanden, waren irgendwann nicht mehr zu heilen. Grass, so das Urteil von Reich-Ranicki und seinen Gefolgsleuten, habe nach der "Blechtrommel" und der Novelle "Katz und Maus" und vielleicht noch der literarischen Etüde "Das Treffen in Telgte" literarisch nichts Bedeutsames mehr zustande gebracht. Literaturwissenschaftler und viele Experten im Ausland sahen das anders. Doch in Deutschland beherrschte Reich-Ranicki das Meinungsbild der bürgerlichen Öffentlichkeit.

Blick aufs literarische Werk

Günter Grass hat zweifellos mit seiner herrischen und im Alter zunehmend störrischen Art selbst beigetragen zu dem Bild, das entstanden ist. Sein spätes Bekenntnis zu seinen SS-Verstrickungen war ein großer Fehler. Das ändert jedoch nichts daran, dass Günter Grass über Jahrzehnte zu den nicht allzu vielen deutschen Autoren gehörte, die sich literarisch auf Weltniveau bewegten. Bedeutende Schriftsteller wie Salman Rushdie, John Irving und einige andere mehr haben sich von Grass inspirieren lassen.

Man sollte also, wenn man nun des Verstorbenen gedenkt, vor allem an seine Romane und Erzählungen, an seine Novellen und auch an seine Lyrik denken. Günter Grass war zweifelsohne einer der bedeutendsten Schriftsteller deutscher Sprache nach dem Zweiten Weltkrieg.