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Kommentar: Historische Chance im Atomstreit

Thomas Latschan17. Oktober 2013

Nach jahrelanger Eiszeit haben Iran und USA den Atomgesprächen einen neuen Impuls gegeben. Viele weitere Schritte sind notwendig, doch der Neubeginn ist vielversprechend, meint Thomas Latschan in seinem Kommentar.

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Acht Jahre lang hatte die Staatengemeinschaft mit Teheran um das iranische Atomprogramm gefeilscht, in langen, zähen und erfolglosen Sitzungen. Sanktion folgte auf Sanktion, und am Ende waren die Fronten so verhärtet, dass kaum noch jemand eine Lösung für möglich gehalten hätte. Doch jetzt sprechen Diplomaten auf beiden Seiten von "umfangreichen und fruchtbaren Gesprächen", von "ernsthaften Fortschritten", von "hoffnungsvoller Annäherung".

Dabei ist das, was vom Ergebnis der Verhandlungen nach außen dringt, noch wenig konkret. So beharrt Teheran auch weiter auf seinem Recht, eigenständig Uran anzureichern. Langfristig könne diese Anreicherung aber begrenzt und die Kontrolle der Atomanlagen durch die Internationale Atomenergiebehörde IAEA vereinfacht werden – welchen Zeitraum "langfristig" auch immer umfassen mag. Der Westen wiederum stellt eine Lockerung der Sanktionen nur in Aussicht. Ansonsten ist viel von Roadmaps und Drei-Stufen-Plänen die Rede, über deren Inhalt allerdings Stillschweigen vereinbart wurde.

Thomas Latschan ist Redakteur am Asien Desk (Foto: DW)
Thomas Latschan, Redakteur Deutsche WelleBild: DW/P. Henriksen

Positive Signale

Wie immer in diplomatischen Krisen geht es vor allem um die indirekten Signale, die aus dem Umfeld solcher Besprechungen dringen. Und die sind tatsächlich äußerst positiv. Wenn die Präsidenten von USA und Iran nach 34 Jahren tiefer Feindschaft in diesem Herbst erstmals wieder direkt miteinander telefonieren, wenn sich ranghohe Vertreter beider Länder am Rande der Fünf-plus-eins-Gespräche zu direkten Verhandlungen zusammensetzen, dann ist allein das schon historisch zu nennen. Noch vor einem Jahr, mit einem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, wäre eine solche Entwicklung undenkbar gewesen.

Mit Barack Obama und Hassan Rohani finden sich aber nun auf beiden Seiten Präsidenten, die grundsätzlich zum Dialog bereit sind. Doch bis zu einer Einigung ist es noch ein weiter Weg, und der lässt sich nur in vielen kleinen Schritten gehen.

Die internationale Gemeinschaft besteht auf konkreten Gegenleistungen, um ihre Sanktionen zumindest teilweise zurückfahren zu können. Mit anderen Worten: Es soll sichergestellt werden, dass Iran den Schritt zur militärischen Atommacht nicht vollziehen kann. Nicht zuletzt aus Rücksicht auf die Sicherheitsinteressen Israels.

Rohani wiederum kann nicht zu viele Zugeständnisse auf einmal machen – aus Rücksicht auf die erzkonservativen Kreise in Irans politischer Führung. Gleichzeitig aber braucht er eine zumindest schrittweise Aufhebung der Sanktionen. Das ist eine wesentliche Voraussetzung für die Lösung der katastrophalen Wirtschaftslage Irans mit zweistelliger Inflation und hoher Arbeitslosigkeit.

Irans Präsident braucht schnell wenigstens kleine Erfolge, denn je länger sich die Gespräche ergebnislos hinziehen, desto mehr Auftrieb bekommen seine Gegner, die davon überzeugt sind, dass Gespräche mit dem Westen ohnehin aussichtslos sind.

Neue Perspektiven für den Nahen Osten

Für den Westen wie für den Iran bietet die jetzige Situation eine Gelegenheit von geradezu historischem Ausmaß: Denn letztlich geht es um viel mehr als um das iranische Atomprogramm. Ein Durchbruch in den Atomgesprächen würde nichts mehr und nichts weniger bedeuten als die Rückkehr Teherans auf die diplomatische Weltbühne.

Das wäre wichtig für den Iran, der endlich auch im Westen als die Regionalmacht im Nahen und Mittleren Osten anerkannt würde, die er faktisch schon längst ist. Und es wäre hilfreich für den Westen, der Teheran als Gesprächspartner braucht, wenn er in den Konflikten in Irans Nachbarstaaten zu einer wirklich tragfähigen Lösung kommen will. In nahezu allen Krisenherden der Region ist Irans Einfluss groß: in Syrien, im Libanon, im Irak und in Afghanistan. Käme es zu einer tatsächlichen Annäherung, würde dies völlig neue Perspektiven eröffnen. Insofern ist die jetzige Annäherung auch eine historische Chance für die gesamte Region.