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Politik

Hongkong - zu wenig, zu spät

HA Asien | Philipp Bilsky Kommentarbild App
Philipp Bilsky
4. September 2019

Die Hongkonger Regierung hat das umstrittene Auslieferungsgesetz, Auslöser der Proteste der letzten drei Monate, komplett zurückgezogen. Doch für viele Demonstranten kommt dieser Schritt zu spät, meint Philipp Bilsky.

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China, Hong Kong: Carrie Lam
Bild: picture-alliance/AP/J. C. Hong

Zunächst war es ein Hongkonger Online-Medium, das die Nachricht brachte - unter Berufung auf Insiderinformationen. Und auch wenn es noch Stunden brauchte, bis die offizielle Bestätigung kam - die Reaktionen folgten sofort. Die Hongkonger Börsen schnellten in die Höhe. Ein deutliches Zeichen, wie stark das politische Chaos den Wirtschaftsstandort Hongkong beeinträchtigt hat, und ein weiterer Warnschuss für die Regierungschefin Carrie Lam. Nach und nach sprangen immer weitere Medien auf, häufig ebenfalls unter Berufung auf Insider: Carrie Lam würde das umstrittene Auslieferungsgesetz formal zurückziehen.

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DW-Asienredakteur Philipp BilskyBild: DW/P. Böll

Seit drei Monaten herrscht in Hongkong der Ausnahmezustand. Im Frühjahr dieses Jahres hatte es einen ersten Entwurf des Gesetzes gegeben. Der Kern: Auslieferungen von Verdächtigen nach Festlandchina sollten möglich werden - und das, obwohl das Justizsystem in China nicht unabhängig ist und von der chinesischen Regierung kontrolliert wird - unvereinbar mit der Prämisse von "ein Land, zwei Systeme", unter der Hongkong 1997 an China übergeben wurde. Im Juni zogen hunderttausende Demonstranten durch die Straßen Hongkongs. Die Polizei reagierte mit Gummigeschossen und Tränengas. Später stürmten Demonstrierende den Legislative Council, das Hongkonger Parlament. Die Hongkonger Regierung unter Carrie Lam legte das Gesetz auf Eis. Später erklärt sie, das Gesetz sei tot, und bezeichnete die Gesetzgebung als totalen Fehlschlag. Doch offiziell zurückgezogen wurde das Gesetz bis jetzt nicht. Zu sehr sollte dem Druck der Straße offenbar nicht nachgegeben werden. Für die Demonstranten war das nicht genug: Sie protestierten weiter.

"Unverzeihliches Chaos"

Lange Zeit fragten sich viele Beobachter, ob die Demonstrationen irgendwann abebben würden. Aber die Proteste gingen weiter, auch als vor wenigen Tagen das Semester wieder anfing. Statt in die Hörsäle zogen viele Studenten weiter auf die Straße. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Erst berichtete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf ein heimlich mitgeschnittenes Gespräch, die Hongkonger Regierungschefin habe bei einem Treffen mit Geschäftsleuten gesagt, dass sie ein "unverzeihliches Chaos” ins Hongkong verursacht habe und zurücktreten würde - wenn sie denn könnte. Einen Tag später dementierte Lam während einer Pressekonferenz und unterstrich, sie habe nie mit Peking über einen Rücktritt gesprochen. Die geheime Tonaufnahme sowie Insiderinformationen scheinen zu beweisen, was viele schon lange angenommen hatten: Die eigentlichen Entscheidungen werden in Peking gefällt und nicht von der Hongkonger Regierung.

Die jetzige Rücknahme des Gesetzes kam für viele Beobachter trotz allem vollkommen überraschend. Doch die Kernfrage bleibt: Wird dieser Schritt die Lage auf den Straßen Hongkongs beruhigen? Danach sieht es derzeit nicht aus. Denn die Rücknahme des Gesetzes war nur eine von mehreren Forderungen der Demonstranten. Noch wichtiger war vielen Demonstranten beispielsweise eine unabhängige Untersuchung des gewaltsamen Vorgehens der Polizei während der letzten Wochen. Viele Stimmen auf den Straßen Hongkongs zeigen schon jetzt: Vor drei Monaten noch hätte die Rücknahme des Gesetzes geholfen. Doch heute bedeutet dieser Schritt aus Sicht vieler: zu wenig, zu spät.