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Politik

Immer mehr Flüchtlinge

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Felix Steiner
20. Juni 2019

Wer kann und wer muss wie viel leisten zur Lösung des Elends der Flüchtlinge weltweit? Auch reiche Staaten können mit dieser Aufgabe überfordert werden und das nützt dann niemandem, meint Felix Steiner.

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Kenia Flüchtlingslager Kakuma
Das Flüchtlingslager Kakuma in Kenia aus der VogelperspektiveBild: picture-alliance/KEYSTONE/P. Klaunzer

Zwei Eindrücke prägen den Weltflüchtlingstag 2019 aus deutscher Perspektive:

Da sind zum einen die aktuellen Zahlen, die das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, das UNHCR, pünktlich zu diesem Tag vorgelegt hat. Der Tenor: Die Not wird größer, denn die Zahl der Flüchtlinge weltweit wächst immer weiter. 70,8 Millionen Menschen haben aktuell ihre Heimat verlassen aufgrund von Kriegen, Gewalt und Verfolgung - schon wieder zwei Millionen mehr als noch vor einem Jahr.

Vergleichsweise wenige Flüchtlinge in Europa

Vor diesem Hintergrund nimmt sich die Zahl derer, die Deutschland erreichen, vergleichsweise bescheiden aus: Etwas mehr als 200.000 waren es im vergangenen Jahr, mit den täglich rund 500 Neuankömmlingen im laufenden Jahr wird die Dimension ungefähr die gleiche bleiben. Insgesamt lebt inzwischen eine gute Million anerkannter Flüchtlinge in Deutschland. Weitere fast 750.000 Menschen wurden nicht als Flüchtlinge anerkannt und müssten eigentlich ausreisen, können aber aus den unterschiedlichsten Gründen bleiben.

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DW-Redakteur Felix Steiner

Auch wenn die Zahlen für Pakistan, die Türkei und Kenia immer noch deutlich höher sind, ist es ein wichtiges Zeichen, dass Filippo Grandi, der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, die Aufnahmebereitschaft Deutschlands besonders gewürdigt hat. Denn selbstverständlich ist das auch für wohlhabende Staaten nicht, wie man sowohl an der Südgrenze der USA als auch am Verhalten diverser EU-Mitglieder sehen kann. Umso mehr gebührt den deutlich ärmeren Ländern in unmittelbarer Nachbarschaft der großen Krisenherde Respekt für die enormen Lasten, die sie schultern.

Nie mehr darf sich wiederholen, was 2015 Auslöser der großen Flüchtlingskrise in Europa war: Dass sich nämlich Hunderttausende auf den Weg nach Europa machen, weil das UNHCR mangels Geld die Nahrungsmittelrationen in großen Lagern in der Nachbarschaft des Kriegsschauplatzes Syrien halbieren musste.

Und damit sind wir beim zweiten Eindruck dieses Weltflüchtlingstages: "Wir schaffen das", erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel im August 2015. In der Tat wurde Gigantisches geleistet in jenem Sommer und Herbst: Alle, die damals nach Deutschland gekommen waren, bekamen ein Dach über den Kopf, wurden verpflegt und ordentlich versorgt. Aber auch die deutsche Gesellschaft hat sich seither dramatisch verändert: Rechtspopulisten sitzen in allen deutschen Parlamenten, der gesellschaftliche Diskurs ist vergiftet. Und erstmals müssen wir in diesen Tagen zur Kenntnis nehmen, dass möglicherweise ein Politiker erschossen wurde, weil er sich öffentlich für eine großherzige Flüchtlingspolitik eingesetzt hat.

Flüchtlinge können Gesellschaften verändern

Das bedeutet nichts anderes, als dass jede Gesellschaft eben auch über Gebühr belastet werden kann. Und dann Abwehrreaktionen erzeugt, die niemand will und die schon gar nicht irgendjemandem nützen. Der damalige Bundeskanzler und spätere Friedensnobelpreisträger Willy Brandt sprach in einer Regierungserklärung 1973 von der "Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft", die irgendwann erschöpft sei. Heute würde man ihn für diese Aussage vermutlich aus der SPD ausschließen - und doch hatte er recht. "Ultra posse nemo obligatur" wussten schon die alten Römer - niemand darf zu mehr verpflichtet werden, als er leisten kann.

Auf die heutige Situation bezogen heißt das: Die reichen Staaten der nördlichen Erdhalbkugel müssen ihren finanziellen Beitrag leisten, dass Flüchtlinge nahe ihrer Heimat gut versorgt werden können. Und natürlich sind sie gefordert, dass bestehende Konflikte gelöst werden und neue erst gar nicht entstehen. Ein Irrglaube wäre es jedoch, alle Bedrängten und Verfolgten dieser Welt vorbehaltlos nach Europa einzuladen. Das Europa, auf das diese Menschen hoffen, wäre dann nämlich innerhalb kürzester Zeit zerstört. Und damit wäre gar niemandem geholfen.