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IStGH ausbauen statt verunglimpfen

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
24. November 2016

Gerechtigkeit für Opfer von Kriegsverbrechen. Das ist und bleibt die noble Aufgabe des Gerichtshofs, der in Den Haag seine Jahresversammlung abhielt. Ihn muss man stützen und nicht demontieren, meint Bernd Riegert.

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Fatou Bensouda Chefanklägerin am ICC
Jahrestagung des IStGH: Chefanklägerin Fatou Bensouda warnt vor einer Schwächung des GerichtsBild: ICC

Der angekündigte Rückzug von drei afrikanischen Staaten aus dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ist ein bedauerlicher Fehler, aber er bedeutet nicht, dass das Gericht für schwere Kriegsverbrechen handlungsunfähig oder gar überflüssig wird. Burundi, Gambia und Südafrika werfen dem Gerichtshof "weiße Siegerjustiz" vor - was absurd ist, wenn man sich die verhandelten Fälle und die Zuständigkeiten des Gerichts anschaut. In der Mehrzahl der Fälle haben die Staaten selbst den Gerichtshof eingeschaltet, weil die Justiz vor Ort mit den angeklagten Verbrechen überfordert war. Genau dafür ist der Gerichtshof geschaffen worden. Er ist ein "Gericht der letzten Zuflucht", das nur zuständig wird, wenn alle andere Wege Gerechtigkeit zu erlangen verbaut sind.

Die Machthaber in Afrika haben aus ganz offensichtlichen Gründen Angst vor dem Gerichtshof, der auch amtierende Staatschefs anklagen kann. Deshalb machen sie Stimmung gegen das internationale Gericht, das vor 14 Jahren in einer Konferenz in Rom geschaffen wurde. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn sich das Gericht auch mit anderen Erdteilen intensiv beschäftigen könnte. Dazu müssten aber die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, sowie die USA, Russland oder die Ukraine dem Gerichtshof beitreten. Das haben sie bislang nicht getan, denn auch ihre politischen Eliten haben Angst vor möglichen Prozessen.

Dem Weltgericht müssen auch die USA, Russland und China beitreten

Der Gerichtshof mit seiner Anklägerin Fatou Bensouda, die selbst aus Gambia stammt, ist nur so mächtig, wie ihn die Weltgemeinschaft macht. Die Forderung, der Gerichtshof müsse ab und zu ein paar Weiße aburteilen, um weiter in Afrika arbeiten zu dürfen, zählt nicht. Denn dadurch würden die Verbrechen in Afrika ja nicht ungeschehen - sie würden nur ungesühnt bleiben. Man kann mögliches Unrecht in Afghanistan nicht gegen mögliches Unrecht im Sudan aufrechnen. Übrigens hat der Gerichtshof ja keine eigene Polizei oder Vollzugsbehörden, um Ermittlungen zu führen und Urteile durchzusetzen. Er ist auf die Zusammenarbeit mit den staatlichen Behörden vor Ort angewiesen. Dieser Zusammenarbeiten haben 124 Staaten freiwillig zugestimmt.

Riegert Bernd Kommentarbild App
Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Besser wäre es, der Gerichtshof könnte auch gegen mutmaßliche Kriegsverbrechen vorgehen, die in der Ukraine, Syrien, Afghanistan oder Irak geschehen. Aber so weit ist die internationale Gemeinschaft leider noch nicht. Es gilt also nicht, den Gerichtshof zu kritisieren und sich von ihm unter lautem Protest zu verabschieden. Es gilt, die Staaten zu kritisieren, die sich der Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichts bislang nicht unterworfen haben. Die USA werden das Gericht weiter ablehnen, weil sie für ihre Soldaten weltweit Immunität reklamieren. Russland tut das Gleiche und war ebenfalls noch nie Mitglied des Gerichtshofs. Der vor einigen Tagen angekündigte "Rückzug" wegen der Ermittlungen in Georgien ist also nur ein PR-Gag der Machthaber im Kreml.

Schwache Rechtssysteme in Afrika

Ermittlungen der Chefanklägerin in Afghanistan laufen. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass es zu einem Prozess kommt. Viele der Vorwürfe sind eben auch schon in Großbritannien, Polen, Deutschland und dem restlichen Europa abgehandelt worden. Europäische Gerichte haben sich mit den Verschleppungen von Terrorverdächtigen beschäftigt und abschließend geurteilt. Jetzt eine Zuständigkeit des IStGH als Gericht der letzten Zuflucht für Opfer von Kriegsverbrecher zu konstruieren, dürfte schwierig werden. Trotzdem ist es gut, dass die Chefanklägerin Ermittlungen in verschiedenen Konfliktzonen der Welt eingeleitet hat. Das zeigt, dass sie eben nicht voreingenommen nur gegen Afrikaner ermittelt.

Afrikanische Menschenrechts-Anwälte drücken es auch so aus: Kann es nicht sein, dass bei den zahlreichen Konflikten und Bürgerkriegen in Afrika besonders großes Unrecht geschieht, um dass sich außer dem IStGH niemand kümmert? Kann es nicht sein, dass viele Staaten Afrikas eben keine Rechtsstaaten sind? Die Afrikanische Union hat beschlossen, einen eigenen Gerichtshof für Afrika zu installieren. Wenn das klappt, ist das nur zu begrüßen. Allerdings soll dieser Gerichtshof amtierende Staatschefs und Würdenträger schonen. Das schränkt seine Möglichkeiten natürlich erheblich ein. Deshalb ist der Internationale Gerichtshof weiterhin unverzichtbar. Er muss ausgebaut werden und sein Mandat muss gestärkt werden, anstatt ihn mit unerfüllbaren Erwartungen zu überfrachten.

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Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union