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Kein Grund zum Schulterklopfen

Graessler Bernd Kommentarbild App
Bernd Gräßler
5. November 2015

Die Koalition aus Union und SPD hat den Streit über Transitzonen für Flüchtlinge beigelegt. Doch das Bemühen, den Zustrom zu bremsen, hat eine neue, wenig überzeugende Idee geboren, meint Bernd Gräßler.

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Flüchtlinge vor Grenzschild mit der Aufschrift "Bundesrepublik Deutschland" (Foto: picture alliance/dpa/Arm in Weigel)
Bild: picture-alliance/dpa/Arm in Weigel

Es ist gut, dass es keine bewachten Zäune oder Mauern geben wird, hinter denen tausende Flüchtlinge "im Transit" auf den Bescheid über ihre Abschiebung warten müssen. Solche sogenannten Transitzonen ohne formaljuristische Einreise nach Deutschland hatte die bayerische CSU vorgeschlagen. Ein eher hilfloser Versuch, in dem überforderten Bundesland Ankömmlinge "ohne Bleibeperspektive" möglichst schnell wieder loszuwerden. Doch Lager dieser Art, auch wenn sie nichts mit Guantánamo oder gar einstigen deutschen KZs zu tun haben, sind nicht nur juristisch umstritten, sondern sie passen nicht in die Zeit.

Immerhin hat die CSU bei Merkel durchgesetzt, dass wenigstens der Versuch unternommen wird, den in Bayern ankommenden Flüchtlingsstrom besser zu steuern. Statt "Transitzonen" gibt es nun "besondere Aufnahmeeinrichtungen", wo in einem schnellen Verfahren registriert und geprüft werden soll. Der Flüchtling kann sich frei bewegen, muss aber im Landkreis bleiben. Beides ist Voraussetzung für die Prüfung des Asylantrags und die Gewährung sozialer Leistungen. Es mag sein, dass sich - vielleicht gar nicht so wenige - Ankömmlinge trotzdem dieser Prozedur entziehen und untertauchen werden, weil sie wissen, dass sie keine Chance auf Anerkennung haben. Tausende sind derzeit schon ohne Registrierung im Land unterwegs. Die Zeit wird zeigen, wie mit ihnen umzugehen ist. Spanien legalisiert seit Jahrzehnten immer wieder tausende "sin papeles", Menschen ohne Papiere, die sich trotzdem integriert haben.

Die Koalition hat Zeit verloren

Die Koalition hat sich nach dem Transitzonen-Streit, den zuletzt selbst SPD-Chef Sigmar Gabriel "albern" nannte, also vernünftig geeinigt. Sie hat trotzdem keinen Grund, sich mit ihrer Handlungsfähigkeit zu brüsten. Denn während allenthalben Tempo erwartet wird, bei der Versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge, der Bearbeitung der Asylanträge, und - ja, auch - bei der Abschiebung von Flüchtlingen ohne Bleiberecht, waren Seehofer, Merkel und Gabriel drauf und dran, sich im üblichen Parteiengezänk zu verlieren.

Anlass, sich auf die Schulter zu klopfen, hat die Koalition auch aus einem anderen Grund nicht. Selbst wenn die Registrierung der Flüchtlinge besser funktionieren und die Abschiebungen schneller erfolgen sollten: Mit dem Tempo der Fluchtbewegung Richtung Deutschland ist kaum Schritt zu halten. Vor allem weil sich die Zusammensetzung des Flüchtlingsstromes ändert. Es kommen immer weniger Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern des Westbalkans, die man schnell wieder nach Hause schicken könnte. Dagegen melden sich, neben den vielen Geflohenen aus dem Bürgerkriegsland Syrien, täglich rund 2000 Flüchtlinge aus Afghanistan, ebenso Menschen aus dem Irak, dem Iran oder Eritrea - allesamt Länder, die nicht sicher sind, wie die bisherigen hohen Anerkennungsquoten beim Bundesamt für Migration zeigen.

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Kratzer im "freundlichen Gesicht"

Doch das hält die Regierung nicht davon ab, plötzlich die "Entscheidungspraxis" zu überdenken, um Afghanen, die bisher in Deutschland Abschiebeschutz genießen, nach Hause zu schicken. Als ob sich die Situation zum Besseren gewendet hätte, als ob wir nicht täglich vom Terror der Taliban hören würden. In Afghanistan selbst soll die Bundeswehr nun "Schutzräume" schaffen, damit die Afghanen zu Hause bleiben. Das klingt, angesichts der wenig erfolgreichen Stabilisierung des Landes in den vergangenen Jahren, gelinde gesagt, verwegen. Es ist Zeichen von Ratlosigkeit und widerspricht dem von Angela Merkel verkündeten Grundsatz, wonach das Asylrecht für politisch Verfolgte keine Grenze nach Oben kenne. Die Opposition und Hilfsorganisationen werden dagegen Sturm laufen. Und dass die Idee, der offenbar auch SPD-Chef Gabriel zustimmt, in seiner eigenen Partei gut ankommt, ist zu bezweifeln. Das "freundliche Gesicht" der Willkommenskultur bekommt immer mehr Kratzer durch die raue Wirklichkeit.

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