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Kommentar: Wo Frauen nichts wert sind

Omar R. Quraishi, Karatschi/ cb31. Mai 2014

Der brutale Mord an Farzana Parveen und seine Folgen zeigen wieder einmal, wie abgestumpft Pakistans Gesellschaft beim Thema Gewalt gegen Frauen ist, kommentiert Omar R. Quraishi.

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Pakistan Ehrenmord in Lahore 27.05.2014 Protest
Bild: AAMIR QURESHI/AFP/Getty Images

Du fragst dich: "Kann es noch schlimmer werden in Pakistan?" Du denkst: "Nein das ist unmöglich". Und dann passiert es doch… Genau so müssen sich viele Pakistanis - zumindest die, die sich wünschen, dass ihr Land fortschrittlicher, zivilisierter und liberaler wird - gefühlt haben, als sie die grausamen Details des Todes von Farzana Parveen erfahren haben.

Die schwangere 25-Jährige wurde von ihren eigenen Brüdern an einer viel befahrenen Straße gesteinigt, als sie auf dem Weg zu einem Gericht im Zentrum von Lahore war. Farzanas erster Ehemann hatte sie geschlagen. Sie verließ ihn und heiratete einen anderen Mann aus ihrem Dorf nahe der Stadt Jaranwala, die 120 Kilometer westlich von Lahore liegt. Lahore ist die zweitgrößte Stadt Pakistans und Hauptstadt von Punjab, der größten Provinz des Landes.

Nichts Außergewöhnliches

Als sie sich entschied, ein zweites Mal zu heiraten, meldeten ihre Eltern und ihre Brüder der Polizei, dass sie entführt wurde. So ein Vorgehen kommt bei ähnlichen Fällen in Pakistan recht häufig vor. Um dieser Anzeige zu widersprechen, war Farzana auf dem Weg zum Gericht, als sie in Lahore angegriffen und ermordet wurde.

Porträt - Omar Quraishi. (Foto: Omar Quraishi)
Quraishi: Pakistans Regierung muss handelnBild: privat

Einer der Brüder gab Schüsse mit einer Pistole ab, die sie noch überlebte. Dann aber holten sich die Männer Ziegelsteine von einer nahe gelegenen Baustelle, schlugen ihr damit mehrmals auf den Kopf und töteten sie schließlich. Dass es ihre eigenen Brüder waren, die Farzana ermordeten, ist leider nicht überraschend.

Man muss fairerweise sagen, dass viele Pakistanis empört sind über das Verbrechen, auch wenn sich diese Empörung bisher eher in sozialen Netzwerken als in der echten Welt Bahn gebrochen hat. Eine Demonstration, die nach dem grausamen Mord in der Hauptstadt Islamabad stattfand, hatte nur Hunderte und nicht Tausende Teilnehmer.

Zögerliche Regierung

Es dauerte mehr als 48 Stunden, bis Premierminister Nawaz Sharif Maßnahmen gegen die Täter einleitete. Farzanas Vater stellte sich direkt nach dem Verbrechen der Polizei und sagte, er bereue den Mord in keinster Weise. Seine Tochter habe durch ihre selbstbestimmte zweite Heirat die "Ehre" der Familie beschmutzt.

Die Polizei hat nun einen vorläufigen Bericht veröffentlicht, von dem ein Großteil dazu zu dienen scheint, sich selbst gegen mögliche Beschwerden der Regierung zu schützen. Medien hatten zum Beispiel berichtet, dass sich mehrere Polizisten in der Nähe des Ortes aufhielten, an dem Farzana ermordet wurde. Es habe aber niemand eingegriffen.

Frauenfeindlich und patriarchalisch

In dem Bericht behauptet die Polizei, dass Beamte den Tatort sehr schnell erreicht hätten. Der Bericht erklärt aber nicht, warum die Beamten nicht verhindern konnten, dass Farzana mit Ziegelsteinen zu Tode geprügelt wurde. Außerdem legt man im Bericht wert darauf zu betonen, dass die junge Schwangere nicht, wie es in Medien hieß, gesteinigt wurde, sondern dass ihr Bruder sie dreimal mit einem Stein geschlagen habe.

Das passt zu einem Staat, in dem die meisten Institutionen eine zutiefst frauenfeindliche und patriarchalische Weltsicht haben: Frauen, die selbst Entscheidungen treffen wollen und es wagen, auch nur ein wenig unabhängig zu handeln, wird eine lose Moral nachgesagt.

Nach dieser Logik verletzen sie mit so einem Verhalten die "Ehre" ("izzat" auf Urdu) ihrer Familie. Das wird als so schlimmes Verbrechen angesehen, dass die Frau die Todesstrafe verdient. Allein im letzten Jahr gab es in Pakistan hunderte solcher Fälle. In vielen von ihnen stellte sich der Täter, in der Regel der Vater, Bruder oder Sohn, der Polizei.

Begnadigung möglich

Aber auch wenn das der Fall ist - eine Verurteilung ist keinesfalls garantiert. Nach den "Qisas" und "Diyat" Gesetzen, Überbleibsel des Militärregimes (1977 bis 1988) von General Zia, dürfen die Erben der ermordeten Frau die Mörder gegen "Blutgeld" begnadigen. Da sich die meisten der sogenannten Ehrenmorde innerhalb einer Familie abspielen, wird häufig ein Kompromiss gefunden. Dann muss der Mörder nicht einen einzigen Tag ins Gefängnis.

Die traurige Realität ist, dass selbst wenn Farzanas Brüder verhaftet werden und falls der Fall vor Gericht kommen sollte, diese Gesetze ins Spiel kommen. Es ist also gut möglich, dass ihre Familie die Mörder gegen "Blutgeld" begnadigt.

Pakistans Regierung muss jetzt ihr Recht nutzen, selbst Nebenklägerin in diesem Fall zu werden. So gebe es die Möglichkeit nicht, dass die Familie des Opfers die Mörder begnadigt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Regierung diesen Schritt geht, ist trotz der Brutalität der Tat aber sehr gering. Und so stumpft Pakistans Gesellschaft wieder ein Stückchen mehr ab im Angesicht sinnloser Gewalt, vor allem gegen Frauen.

Omar R. Quraishi ist leitender Redakteur der Kommentarseiten der Zeitung Express Tribune in Karatschi, Pakistan.