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Kommentar: Koalitionsende in Polen als Chance

16. August 2007

Polen steuert auf Neuwahlen im Herbst zu. Damit eröffnet sich die Chance für ein neues Kapitel in den schwierigen Beziehungen zwischen Polen und den restlichen EU-Mitgliedern. Bernd Riegert kommentiert.

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Bild: DW

Offiziell sagt das natürlich in Brüssel niemand, aber in der EU-Zentrale weint man der polnischen Regierungskoalition, die jetzt zerbrochen ist, keine Träne nach. In den letzten zwei Jahren haben die Kaczynski-Zwillinge (im Brüssler Jargon werden sie auch "die Geschwister Fürchterlich" genannt) in der EU viel politisches Porzellan zerschlagen.

Sturheit und Nationalismus

Präsident Lech und mehr noch Ministerpräsident Jaroslaw nervten die europäischen Kolleginnen und Kollegen mit einer Mischung aus Sturheit und polnischem Nationalismus bis zur Weißglut. Der EU-Gipfel im Juni zur Lösung der Verfassungskrise drohte an Jaroslaw zu scheitern, der seinen Präsidentenbruder Lech aus Warschau bei den beinharten Brüssler Gesprächen per Telefon fernsteuerte.

Beim jüngsten Konflikt mit der polnischen Regierung um Naturschutz bei einem Autobahnprojekt musste die EU-Kommission sogar mit einer einstweiligen Verfügung des Europäischen Gerichtshofes drohen, bis Warschau in der letzten Minute doch noch einlenkte. Der nächste Showdown ist schon angesetzt, denn die EU-Kommission will wegen Überkapazitäten Teile der Werften in Danzig stilllegen. Der polnischen Regierung droht die Rückzahlung von EU-Beihilfen in dreistelliger Millionenhöhe.

Schlimmer geht’s nicht

Zwar ist die Koalition zerbrochen und die europa-feindliche Liga der polnischen Familien aus der Regierung geflogen, aber wie sie bei den vorgezogenen Parlamentswahlen abschneiden wird und ob Jaroslaw Kaczynski erneut Ministerpräsident werden kann, das steht auf einem ganz anderen Blatt. "Schlimmer kann es ja nicht mehr werden", trösten sich EU-Diplomaten in Brüssel. Schließlich hatte der Vater des jetzt entlassenen Bildungsministers Roman Giertych von der Liga die damalige EU-Ratsvorsitzende Angela Merkel als – so wörtlich – "raffinierte Ausgabe von Adolf Hitler" diffamiert. Vater Maciej Giertych sitzt für die Liga der polnischen Familien im Europäischen Parlament in Brüssel und wirft Deutschland vor, Europa zum Nachteil Polens dominieren zu wollen.

Egal, wie die nächste Regierung in Warschau zusammengesetzt wird, der Europa-Abgeordnete wird seinen Kollegen in Brüssel noch mindestens bis zu den nächsten Europawahlen 2009 erhalten bleiben. Der Sohn Roman machte sich als Minister dafür stark, dass Polen in keinem Fall einem neuen Europa-Grundlagenvertrag zustimmen sollte, und das, obwohl der Rahmen des Vertrages erst wenige Tage zuvor von allen 27 EU-Staats- und Regierungschefs verabschiedet worden war. Dauernd gab es Störmanöver und Sonderwünsche. "Das nervt nur noch!", stöhnten die engen Mitarbeiter der Außenminister in Brüssel.

Hoffen auf Besserung

EU-Diplomaten hoffen darauf, dass sich in Polen jetzt eine gemäßigtere Sicht durchsetzen wird, denn auf Dauer stellt eine europaskeptische Regierung an der Weichsel eine starke Behinderung für das Funktionieren der EU dar. Schließlich ist Polen seit 2004 das größte neue Mitgliedsland in Osteuropa. Ein Trost: 85 Prozent der fast 40 Millionen Polen sehen die Mitgliedschaft in der EU positiv, offenbar im Gegensatz zur eigenen (verflossenen) Regierung.

Unklar ist, wie sich das Vakuum in Polen auf die Verhandlungen über den neuen EU-Vertrag auswirken wird. Der sollte eigentlich in groben Zügen bis zum nächsten EU-Gipfel am 18. und 19. Oktober in Lissabon fertig sein. Daraus wird wohl nichts, denn erst einige Tage danach werden die Polen an die Wahl-Urnen gerufen werden. Wer weiß, welche Sonderwünsche dann eine zu bildende Koalitionsregierung noch anmelden wird.

Bernd Riegert, Brüssel
DW-RADIO, 14. 8. 2007, Fokus Ost-Südost